Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Ruinenfeld lotsen, in die bedrückende Stille der inneren Stadt. Caroline, ich kann dir nicht sagen, wie unheimlich es hier ist, regelrecht gespenstisch, diese wuchtigen, glatten Bauwerke, uferlos in Reih und Glied. Wir bewegten uns nach Südwesten, über uns der sonnige Himmel, unter uns der strahlend weiße, feste Schnee.
    Die Sonne blieb allerdings so tief, dass wir auf den breiten, verschneiten Straßen meistens im Schatten pilgerten.
    Tom Compton führte die Wollschlange an der kurzen Leine. Der Grenzer war nicht gerade gesprächig, also hinkte ich mit Sullivan hinterher in der Hoffnung, eine menschliche Stimme möge die Melancholie dieser gewaltigen, sich immerzu wiederholenden Straßen zerstreuen. Doch Sullivan war nicht minder wortkarg.
    »Wir sind die ganze Zeit davon ausgegangen, dass es sich bei den Erbauern um intelligente Wesen handelt«, sagte er plötzlich. »Das muss nicht so sein.«
    Ich wollte wissen, wie er das meinte.
    »Die äußere Erscheinung kann täuschen. Haben Sie schon einmal einen afrikanischen Termitenhügel gesehen? Kunstvolle, ausgeklügelte Gebilde, mannshoch und größer. Aber der Architekt heißt Evolution. Oder denken Sie an die komplexe Geometrie von Honigwaben.«
    »Sie meinen, wir könnten uns in einer Art Insektenstock befinden?«
    »Ich will nur sagen, auch wenn diese Gebilde zweifellos künstlich sind, so spricht ihre Gleichförmigkeit, was die Größe und vermutlich auch die Funktion angeht, entschieden gegen einen menschlichen Erbauer.«
    »Welche Insekten schneiden Granitblöcke von der Größe des Washington Monument?«
    »Unvorstellbar. Und – was noch schlimmer ist – ohne Beispiel. Die Literatur kennt nichts Vergleichbares. Wer oder was auch immer diese Stadt gebaut hat, sie scheinen weder Nachfahren noch Vorfahren zu haben. Eine Art punktuelle, abgekapselte Schöpfung.«
    Das passte haargenau zu meinen Gedanken. Darwinia ist uns fremd, aber es hat seine Schönheit – die moosgrünen Wiesen, die Lichtungen in den Salbeikieferhainen, die friedlichen Flüsse. Diese Ruinen haben nichts von dieser Anmut. Stunde um Stunde zogen wir durch diese schrecklich monotonen Straßen, während die Sonne nicht über die geborstenen Monumente hinauskam. Die Schneedecke vor uns war völlig unberührt und makellos. Das gab weder Sullivan noch mir zu denken, bis Tom uns mit der Nase darauf stieß. In den vier oder fünf Tagen nach dem letzten Schnee hatte hier kein Tier eine Spur hinterlassen, kein Vogel, auch kein Nachtfalke. Nachtfalken sind in diesem Tal zu Hause; sie hocken scharenweise in den Ruinen am Rand der Stadt. (Leichte Beute, wenn man keine Wahl hat. Nachts pirscht man sich an den schlafenden Schwarm heran, und zwar mit einer Fackel; das Licht blendet sie; ein Mann kann sechs oder sieben Stück mit einem Stock zur Strecke bringen, bevor sie ihre fünf Sinne beisammen haben und auf und davon sind.) Aber hier gab es keine. Zugegeben, mitten in diesem Steinlabyrinth gab es so gut wie keine Nahrung. Trotzdem, dass sich kein Lebewesen hierher verirren sollte, war schon seltsam. Das zerrt an den Nerven, Caroline, und ich muss gestehen, wir wurden immer nervöser, je länger die Schatten wurden. Wir waren hellwach, hätte sich auch nur das Geringste gerührt in unserer Umgebung, es hätte uns bis ins Mark getroffen.
    Nicht dass sich irgendetwas getan hätte. Gelegentlich verzeichneten wir das Knistern von Eis oder den weichen Sturz von herabgleitendem Schnee. Bei Einbruch der Dunkelheit schlugen wir ungestört unser Lager auf. Dass wir immer noch nicht da sind, wo Sullivan das Zentrum der Stadt vermutet, zeigt, wie ausgedehnt dieses Artefakt ist. Wir hatten Brennholz dabei, Moscheeäste, hart aber hohl und nicht besonders schwer; in einem Bauwerk mit einem halbwegs intakten Dach entfachten wir ein Feuer. Natürlich nicht, um diese kubische Halle zu heizen, aber wir waren aus dem Wind und konnten uns ein behagliches Eckchen schaffen.
    Ich sollte noch erwähnen, dass Tom Compton, der unerschütterliche Pragmatiker, von uns dreien der mit Abstand nervöseste ist. Als ich heute Abend zu schreiben anfing, sagte er etwas Seltsames… murmelte es, so weit vorgebeugt, dass ich fürchtete, sein struppiger Vollbart könne Feuer fangen.
    »Ich habe von diesem Ort geträumt«, sagte er.
    Mehr wollte er wohl nicht sagen, doch mir war, als hätte mich ein kalter Hauch gestreift. Denn, Caroline, ich habe auch von diesem Ort geträumt, im Herbst, als ich im Fieber lag und das Gift noch in meinem

Weitere Kostenlose Bücher