Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
der Menschenleben verloren hatte, für die er persönlich die Verantwortung trug. Nein, dieser Mann nahm sich nicht mehr wichtig, sein Blick war starr, ohne Würde, ohne Hoffnung.
    »Dr. Finch?«
    Der Geologe sah Guilford kurz an. Seine Aufmerksamkeit flackerte wie eine Kerze.
    »Dr. Finch, haben Sie gesehen, was mit dem Mann passiert ist, mit dem Tom geredet hat? Mit dem Verletzten?«
    Finch wandte sich ab.
    »Geben Sie sich keine Mühe«, sagte Tom. »Er ist stumm wie ein Fisch.«
    »Dr. Finch, es könnte uns helfen, wenn wir wüssten, was passiert ist. Helfen, heil nach Hause zu kommen, meine ich.«
    »Es war ein Wunder«, sagte Preston Finch.
    Seine Stimme war ein schmirgelndes Krächzen. Der Grenzer blickte ihn verdutzt an.
    Guilford hakte behutsam nach: »Dr. Finch? Was genau haben Sie gesehen?«
    »Die Wunden sind verheilt. Das Fleisch tat sich zu. Die Knochen fügten sich zusammen. Er stand auf. Er blickte mich an. Er lachte.«
    »Das ist alles?«
    »Alles, was ich gesehen habe.«
    »Eine große Hilfe«, sagte Tom Compton.
     

     
    Der Grenzer hielt Wache. Guilford kroch zu Finch in den Windschutz.
    Der Botaniker stank nach Schweiß und Schlangenfell und Hoffnungslosigkeit, doch Guilford roch selbst nicht viel besser. Ihre menschlichen Ausdünstungen füllten die Enge und ihr Atem kristallisierte in der frostigen Luft.
    Aus einem unerfindlichen Grund war Finch zu neuem Leben erwacht. Er starrte durch die Lücken zwischen den Fellen in die unmenschliche Nacht hinaus. »Das ist nicht das Wunder, das ich mir gewünscht habe«, sagte er leise. »Verstehen Sie, Mr. Law?«
    Guilford war steif vor Kälte. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. »Davon verstehe ich sehr wenig, Dr. Finch.«
    »Ich weiß, was Sie und Sullivan von mir gedacht haben. Preston Finch, der Fanatiker, sucht nach Beweisen für göttliches Eingreifen, wie diese Leute, die behaupten, sie hätten ein Stück von der Arche Noah oder vom Kreuz Christi gefunden.«
    Finch klang so alt wie der Nachtwind. »Tut mir Leid, wenn Sie diesen Eindruck hatten«, sagte Guilford.
    »Ich bin Ihnen nicht böse. Vielleicht stimmt es ja. Nennen Sie es Hybris. Die Sünde der Eitelkeit. Ich habe nicht zu Ende gedacht. Wenn die Natur und das Göttliche nicht mehr voneinander getrennt sind, dann kann es auch zu dunklen Wundern kommen. Diese schreckliche Stadt. Der Mann, dessen Beine im Handumdrehen geheilt sind.«
    Und der tiefe Schacht und mein Doppelgänger in seiner abgerissenen Uniform und die nach Fleischwerdung gierenden Dämonen. Nein: das nicht. Das konnte ebensogut Einbildung sein, dachte Guilford. Das Ergebnis von Übermüdung und Unterernährung und Kälte und Angst.
    Finch hustete in die vorgehaltene Hand, ein schmerzhaftes Geräusch. »Es ist eine neue Welt«, sagte er.
    Dagegen war nichts einzuwenden. »Wir brauchen ein bisschen Schlaf, Dr. Finch.«
    »Dunkle Kräfte und helle. Sie suchen uns heim.« Er schüttelte traurig den Kopf. »Das hab ich nicht gewollt.«
    »Ich weiß.«
    Nach ein paar Atemzügen: »Schade um Ihre Photographien, Mr. Law.«
    »Nett, dass Sie das sagen.«
    Guilford schloss die Augen.
     

     
    Sie ließen keinen Tag aus, sie kamen nicht weit voran, aber wenigstens ein bisschen.
    Sie folgten Tierfährten, felsigen Flussbetten, schneefreien Flecken unter Moscheebäumen und Salbeikiefern, immer bedacht, keine auffälligen Spuren zu hinterlassen. In regelmäßigen Abständen musste Guilford auf Finch aufpassen, während der Grenzer mit seinem Bowiemesser auf Jagd ging. Wenn es kein Wollschlangenfleisch gab, dann blieben immer noch die Schlafplätze der Nachtfalken. Aber seit etlichen Monaten hatten sie nichts Pflanzliches mehr gegessen, abgesehen von ein paar schwer zu findenden Wurzeln oder zähen, in Wasser gekochten Moscheebaumstacheln. Guilfords Zähne hatten sich gelockert, und sein Sehvermögen hatte deutlich an Schärfe verloren. Finch, der seine Brille schon beim ersten Überfall verloren hatte, war nahezu blind.
    Die Tage vergingen. Nach dem Kalender war der Frühling nicht mehr fern, doch der Himmel blieb dunkel, der Wind stechend kalt. Guilford gewöhnte sich an die Schmerzen, jedes Gelenk tat ihm weh, immer.
    Er fragte sich, ob der Bodensee wohl zugefroren war. Ob er ihn je wieder zu Gesicht bekam.
    Das ramponierte Tagebuch trug er unter der Fellkleidung; er hatte es nie irgendwo liegen lassen. Auf den wenigen freien Seiten schrieb er gelegentlich kurze Mitteilungen an Caroline.
    Er war sich darüber im Klaren, dass

Weitere Kostenlose Bücher