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Darwinia

Darwinia

Titel: Darwinia Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: authors_sort
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dann buchen wir eine Überfahrt.«
    »Wohin?«
    »Egal eigentlich.«
    »Nicht zum Kontinent!«
    »Natürlich nicht…«
    »Und nicht nach Amerika.«
    »Nicht? Ich dachte, du wolltest wieder nach Boston.«
    Sie spielte mit dem Gedanken, Colin ihrem Onkel vorzustellen. Liam hatte Guilford nie besonders gemocht, und trotzdem, es würde Fragen geben und Einwände. Bestenfalls würde alles wieder seinen gewohnten Gang gehen mit all seinen Vor- und Nachteilen, besonders aber mit den Nachteilen. Nein, nicht nach Boston.
    »Wenn das so ist«, sagte Colin, »was hältst du dann von Australien?« Wie er das sagte, klang es vollkommen beiläufig. Caroline vermutete, dass er schon oft an Australien gedacht hatte. »Ich habe einen Vetter in Perth. Er würde uns aufnehmen, bis wir Fuß gefasst haben.«
    »In Australien gibt es Känguruhs«, sagte Lily.
    Der Lieutenant blinzelte ihr zu. »Jede Menge Känguruhs, mein Mädchen. Wimmlig viele.«
    Caroline war berückt, verhielt aber den Atem. Australien? »Und was machen wir da?«
    »Leben«, sagte Colin einfach.
     

     
    Am nächsten Morgen klopfte ein Portier an die Tür und teilte ihnen mit, sie müssten sofort das Hotel verlassen oder man könne nicht mehr für ihre Sicherheit garantieren.
    »Doch nicht sofort«, meinte Caroline. Colin und der Portier überhörten ihren Einwand. Vielleicht war es doch an der Zeit. Über Nacht war die Luft unerträglich geworden. Caroline spürte Stiche in der Lunge und Lily musste immerzu husten.
    »Alles östlich der Thames Street muss geräumt werden«, beharrte der Portier. »Anordnung des Bürgermeisteramtes.«
    Schon merkwürdig, wie lange eine Stadt brannte, selbst eine so kleine und primitive Stadt wie London.
    Sie raffte ihre Taschen zusammen und half Lily packen. Colin hatte kein Gepäck – jedenfalls nichts, woran ihm gelegen war –, aber er faltete die hoteleigenen Bettlaken und Decken zu einem Bündel zusammen. »Das Hotel wird nicht meckern«, sagte Colin. »Nicht unter diesen Umständen.«
    Er weiß genauso gut wie ich, dachte Caroline, dass das Hotel morgen früh in Schutt und Asche liegt.
    Sie trat vor die Spiegelkommode und ordnete ihr Haar. Sie konnte kaum etwas sehen. Draußen herrschte Zwielicht und das Gas war seit dem Angriff abgesperrt. Sie sah zu, wie sich die Geistererscheinung im Spiegel kämmte, dann nahm sie Lilys Hand. »Fertig«, sagte sie. »Wir können gehen.«
     

     
    Colin verkleidete sich auf dem Treck in die ausgedehnte Zeltstadt, die westlich von London entstanden war. Er trug einen viel zu großen Regenmantel und einen Schlapphut, beides zu einem horrenden Preis von einem Altwarenhändler erstanden, der den Flüchtlingsstrom abgraste. Army und Navy waren zur Unterstützung abkommandiert. Sie zirkulierten zwischen den improvisierten Unterkünften und verteilten Lebensmittel und Arznei. Colin wollte unerkannt bleiben.
    Natürlich wollte er nicht als Deserteur festgenommen werden. Genau genommen, dachte Caroline, war er ja desertiert. Sie wusste, dass ihm das zu schaffen machte, aber er wollte nicht darüber sprechen. »Ich war nicht viel mehr als eine Art Lagerverwalter«, sagte er. »Ich bin ersetzbar.«
     

     
    Nachdem sie drei Tage in der Zeltstadt verbracht hatten, wurden die Lebensmittel knapp, allerdings wurden allerortens optimistische Gerüchte laut: Ein Dampfer vom Roten Kreuz komme die Themse herauf; die Amerikaner seien auf offener See geschlagen worden. Das Gerede ließ Caroline kalt. Sie wusste aus eigener Erfahrung, was davon zu halten war. Es reichte voll und ganz, dass dem Feuer offenbar die Nahrung ausging und ein kalter Frühlingsregen einsetzte. Die Leute redeten von Wiederaufbau, wenngleich Caroline das Wort für absurd hielt: die Rekonstruktion einer Rekonstruktion einer verschwundenen Welt, was für ein Unsinn!
    Einen ganzen Nachmittag lang wanderte sie zwischen den schwelenden Lagerfeuern und stinkenden Latrinengräben umher und hielt nach Alice und Jered Ausschau. Sie bedauerte, in London keinen Bekanntenkreis zu haben, sie hatte sich zu sehr abgesondert. Wie schön wäre es gewesen, jetzt einem vertrauten Gesicht zu begegnen, doch es gab keine vertrauten Gesichter, bis auf das von Mrs. de Koenig, der Frau, die so oft auf Lily aufgepasst hatte. Mrs. de Koenig sah verdrossen drein, sie war allein, in eine triefende Persenning gehüllt, ihr Haar war wirr und nass; zuerst erkannte sie Caroline gar nicht.
    Doch als Caroline sich nach Alice und Jered erkundigte, schüttelte die ältere

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