Das 10. Gebot - Women's Murder Club -: Thriller (German Edition)
linken Hand die Schläfen. »Das Telefon hatte ich in der anderen Hand«, sagte sie und stellte mit der Rechten symbolisch einen Telefonhörer dar.
Ein geniales Bild, dachte Yuki. Man hatte plastisch vor Augen, dass Candace Martin ein Telefon in der Hand hielt und nicht etwa eine Pistole. Eine bewundernswerte Idee von Hoffman.
»Bitte erzählen Sie den Geschworenen, was geschehen ist, nachdem Sie die Schüsse gehört hatten«, sagte Hoffman. Er trat beiseite, um den Geschworenen nicht die Sicht auf seine Mandantin zu verstellen.
Candace Martin berichtete nun genau die gleiche zeitliche Abfolge, die schon Hoffman in seinem Eröffnungsplädoyer geschildert hatte. Sie war ins Foyer gerannt, hatte ihren Mann mit einer blutenden Wunde in der Brust auf dem Fußboden liegend vorgefunden und seinen Puls überprüft. Dann sagte sie, dass sie zwar ihre Brille nicht aufhatte, aber hörte, wie etwas Hartes, Metallisches auf den Boden fiel. In dem Moment, in dem sie eine Gestalt im Schatten in Richtung Haustür laufen sah, sei ihr klar geworden, dass es sich um eine Pistole handeln musste.
Yuki beobachtete Candace Martin aufmerksam, suchte in ihrem Gesicht nach verräterischen Zeichen, nach Zuckungen oder hastigen Augenbewegungen, lauschte auf Lügen. Aber Candace Martin wirkte durch und durch glaubwürdig.
Und Yuki nahm an, dass die Geschworenen ihr ebenfalls glauben würden.
In wenigen Minuten musste sie diese Frau, eine Herzchirurgin und gute Mutter, unglaubwürdig machen, musste Phil Hoffmans Werk, den frisch polierten Heiligenschein, den Candace Martin über der Krone auf ihrem hübschen blonden Kopf trug, wieder zerstören.
Yuki wusste, was sie zu tun hatte.
Sie wusste nur nicht, ob sie es konnte.
69 P hil Hoffman kam zum Höhepunkt seiner Befragung. Er ver suchte, jedes sichtbare Anzeichen des Hochgefühls, das ihn durchströmte, zu unterdrücken. Das Risiko hatte sich gelohnt. Candace war die perfekte Zeugin: prägnant, präzise, eindeutig.
Und – natürlich – unschuldig.
»Nachdem Sie Ihren Mann auf dem Fußboden gefunden und festgestellt haben, dass er nicht mehr lebte, was haben Sie dann gemacht?«, wollte Hoffman wissen.
»Ich weiß noch, wie ich die Pistole genommen habe. Es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich eine Waffe in der Hand hatte, aber ich habe gesehen, wie jemand das Haus verlassen hat. Die Haustür stand offen. Es war ganz instinktiv, ich wollte denjenigen, der meinen Mann erschossen hatte, aufhalten. Also rannte ich dem Eindringling hinterher. Ich habe ein paar Mal gerufen: ›Stopp!‹ Und dann habe ich geschossen.«
»Frau Dr. Martin, haben Sie mit Ihren Schüssen jemanden getroffen?«
»Nein. Ich habe gar niemanden gesehen. Ich habe einfach in die Luft geschossen, um ihm Angst zu machen, damit er ja nicht noch einmal zurückkommt. Dann bin ich wieder ins Haus gegangen, habe die Haustür abgeschlossen und mich neben Dennis gesetzt. Mittlerweile waren die Kinder auch da und haben geweint. Es war grässlich. Grässlich! Ich habe Caitlin auf ihr Zimmer geschickt, und Duncan ist nach oben zu Cyndi gegangen.«
»Was ist danach passiert?«
»Ich habe die Notrufnummer angerufen. Und kurz danach ist die Polizei gekommen.«
»Bitte sagen Sie den Geschworenen, wie Sie sich gefühlt haben.«
»Ich? Ich war vom Schock und der Trauer wie gelähmt. Aber dann, es ist wirklich unglaublich, dann kam das Allerschlimmste. Soll ich weitermachen?«
»Bitte.«
Die Ärztin nickte, schluckte trocken und fuhr fort: »Eigentlich war es das normale Ende eines normalen Arbeitstags gewesen. Dann plötzlich – Schüsse. Irgendjemand war in mein Haus eingedrungen und hatte meinen Mann ermordet. Dann ist die Polizei gekommen und hat angefangen, mich auszufragen. Das war der mit Abstand furchtbarste Augenblick meines ganzen Lebens, und dann musste ich auch noch meine Kinder alleine lassen. Musste an meinem toten Mann vorbeigehen und mich in einen Streifenwagen setzen, um auf der Polizeiwache einem Verhör unterzogen zu werden. Ich wurde acht Stunden lang befragt, und danach durfte ich immer noch nicht nach Hause gehen. Und dann hat man mir am Morgen einen Mord vorgeworfen, den ich nicht begangen habe. Das hat mir eine Todesangst versetzt, und diese Angst begleitet mich bis heute. Sie lässt mich niemals los, keine einzige Sekunde. Es ist auch die Angst um meine Kinder, weil ich nicht bei ihnen sein kann.«
Verdammter Mist, dachte Yuki. Candace Martin hatte die Geschworenen um den Finger gewickelt.
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