Das 2. Buch Des Blutes - 2
Es war eine langweilige Fahrt, und er war müde.
Weder sah er die Lichter im zweiten Waggon flackernd ausgehen noch Mahoganys Gesicht, der durch die Verbindungstür der beiden Waggons starrte und nach noch mehr Fleisch Aus-schau hielt.
An der 14. Straße stieg die Schwarze aus. Niemand stieg ein.
Kaufman öffnete kurz die Augen, nahm den leeren Bahnsteig an der 14. wahr und schloß sie dann wieder. Die Türen gingen zischend zu. Er trieb in jenem warmen Niemandsland zwischen Wahrnehmungsbereitschaft und Schlaf dahin, und durch seinen Kopf schwirrten Träume, die noch nicht ganz Gestalt angenommen hatten. Es war ein gutes Gefühl Der Zug war wieder in Fahrt und ratterte tiefer in die Tunnels hinab.
Möglicherweise bekam Kaufman auf dem Hintergrund seines dahindämmernden Bewußtseins halbwegs mit, daß die Türen zwischen erstem und zweitem Waggon aufgeschoben wurden.
Möglicherweise registrierte er den plötzlichen Schwall Tunnelluft und daß der Lärm der Räder einen Augenblick lang lauter war. Aber er nahm lieber nichts davon zur Kenntnis.
Möglicherweise hörte er sogar das Gescharre und Gerangel, als Mahogany den jungen Burschen mit dem Drogenblick überwältigte. Aber das Geräusch war zu weit weg und die Verhei
ßung des Schlafs zu verführerisch. Er döste weiter.
Aus irgendeinem Grund kreisten seine Träume um die Küche seiner Mutter. Sie hackte Rüben - ratsch - und lächelte so lieb beim Hacken - ratsch. Er war wieder ganz klein in seinem Traum und schaute zu ihrem strahlenden Gesicht hinauf, während sie arbeitete. Ratsch. Ratsch. Ratsch.
Mit einem Ruck riß er die Augen auf. Seine Mutter verschwand. Der Waggon war leer, der junge Mann war fort.
Wie lang war er eingeduselt? Er konnte sich nicht daran erinnern, daß der Zug an der 4. Straße West gehalten hätte. Er stand auf, den Kopf noch wie in Schlaf getaucht, und kippte fast vornüber, da der Zug heftig schwankte. Anscheinend hatte der Fahrer einen ganz beachtlichen Zacken Geschwindigkeit zugelegt. Wahrscheinlich war er scharf drauf, endlich heim zu kommen ins bequeme Bett seiner Frau. Der Zug legte sich jetzt mordsmäßig ins Zeug; echt, es war verdammt beängstigend.
Vor das Fenster zwischen den beiden Waggons war eine Blende runtergezogen, die, soweit er sich erinnerte, vorher nicht unten gewesen war. In Kaufmans ernüchtertem Schädel breitete sich leichte Beunruhigung aus. Angenommen, er hatte ziemlich lange geschlafen, und der Schaffner hätte ihn im Waggon übersehen. Womöglich waren sie schon an Far Rockaway vorbei, und der Zug sauste im Eiltempo zu irgend so einem Depot für die Nacht.
»Scheiß drauf«, sagte er laut.
Sollte er nach vorn gehen und den Fahrer fragen? Aber sich zu erkundigen: Wo sind wir denn? war wirklich ‘ne saublöde Frage. Was konnte er wohl zu dieser nachtschlafenden Zeit anderes zur Antwort kriegen als eine Flut von Beschimpfungen?
Dann wurde der Zug allmählich langsamer.
Eine Station. Ja, eine Station. Der Zug rollte aus dem Tunnel und ins schmutzige Licht der Station an der 4. Straße West. Er hatte keine Haltestelle verschlafen.
Aber wo war dann der Junge geblieben?
Entweder hatte er sich nicht an die Aufschrift an der Waggonwand gehalten, die den Durchgang zwischen den Waggons wahrend der Fahrt untersagte, oder er war überhaupt gleich vor ins Fahrerabteil gegangen. Wahrscheinlich vergnügt er sich gerade zwischen den Fahrerbeinen, dachte Kaufman und verzog die Oberlippe. So was kam durchaus vor. Schließlich war man in der Hochburg der Wonnen, und jeder hatte einen Anspruch auf ein bißchen Liebe in der Dunkelheit.
Kaufman schob die Überlegung mit einem Achselzucken von sich. Was ging’s ihn an, wo der Junge geblieben war?
Die Türen schlössen sich. Niemand war eingestiegen. Der Zug schlingerte aus der Station hinaus, und die Lichter flackerten, als er mit einem starken Energieschub wieder Geschwindigkeit zulegte.
Kaufman spürte, wie die süße Schlafsucht ihn erneut überkam, aber die plötzliche Angst, sich zu verirren und verloren zu sein, hatte Adrenalin in seinen Organismus gepumpt, und seine Glieder zitterten vor nervlicher Anspannung.
Auch seine Sinne waren überwach.
Selbst durchs Geratter und Gerumpel der Räder auf den Schienen hörte er aus dem nächsten Waggon herüber das Geräusch zerreißenden Tuchs. Rissen sich da welche das Hemd vom Leib?
Er stand auf und griff nach einer Halteschlaufe, um nicht umzufallen.
Das Fenster zwischen den Waggons war vollkommen zugehängt,
Weitere Kostenlose Bücher