Das 2. Buch Des Blutes - 2
den Kopf und murmelte wieder und wieder ihr
»Nein« wie eine Zauberformel gegen den lächerlichen Horror, der sich noch immer gegen die Türfüllung warf. Jack geleitete sie ins Wohnzimmer. Das Radio säuselte noch immer Weihnachtslieder, die das Gepolter des Vogels auslöschten, aber ihre Frohbotschaft des guten Willens schien nur ein geringer Trost zu sein.
Gina schenkte ihrer Schwester einen überdimensionalen Brandy ein und setzte sich neben sie aufs Sofa, um ihr Hochprozentiges und Beruhigung zu etwa gleichen Teilen aufzunö-
tigen. Beide machten auf Amanda wenig Eindruck.
»Was bitte war das?« fragte Gina ihren Vater in einem Ton, der eine Antwort verlangte,
»Ich weiß nicht, was es war«, erwiderte Jack.
»Massenhysterie?« Ginas Ungehaltenheit war offensichtlich.
Ihr Vater hatte ein Geheimnis: Er wußte, was im Haus vor sich ging, aber aus irgendeinem Grund weigerte er sich, damit rauszurücken.
»Wen soll ich kommen lassen: die Polizei oder einen Exorzi-sten?«
»Niemand.«
»Also, um Himmels willen,..«
»Nichts ist im Gang, Gina. Wirklich.«
Ihr Vater wandte sich ab vom Fenster und sah sie an. Seine Augen sprachen aus, was sein Mund zu sagen sich weigerte: daß es sich um Krieg handelte.
Jack hatte Angst.
Das Haus war plötzlich ein Gefängnis. Das Spiel war plötzlich tödlich. Der Feind zog nicht mehr alberne Spielchen durch, sondern hatte Schlimmes im Sinn, wirklich Schlimmes für sie alle.
In der Küche hatte sich der Truthahn endlich geschlagen gegeben. Die Weihnachtslieder im Radio waren zu einer Predigt über die Segnungen Gottes geronnen.
Was süß gewesen war, war jetzt sauer und gefährlich. Er betrachtete Amanda und Gina am anderen Ende des Zimmers.
Beide zitterten, jede hatte ihre eigenen Gründe. Polo wollte ihnen sagen, wollte ihnen erklären, was vor sich ging. Aber das Wesen mußte hier sein, ganz sicher, und sich hämisch freuen.
Er irrte sich. Das Geyatter hatte sich, hochzufrieden mit seinen Bemühungen, auf den Dachboden zurückgezogen. Der Vogel, das fühlte es, war ein Geniestreich gewesen. Jetzt konnte es eine Weile ausruhen: sicherholen. Sollen sich nur die Nerven des Feindes in schlimmen Vorahnungen zerfetzen. Und dann, wenn’s ihm gerade paßte, würde er den Gnadenstoß verabreichen.
Ganz beiläufig fragte es sich, ob wohl irgendeiner von den Kontrolleuren seine Arbeit mit dem Truthahn gesehen hatte.
Vielleicht wären sie jetzt von seiner Originalität hinreichend beeindruckt, um seine Berufsaussichten zu verbessern. Es hatte diese ganzen Ausbildungsjahre bestimmt nicht durchge-macht, um lediglich schwachsinnige Trottel wie Polo zu hetzen. Eine herausforderndere Aufgabe als diese mußte drin sein. Das Geyatter fühlte Sieg in seinen unsichtbaren Knochen, und das war ein gutes Gefühl.
Die Jagd auf Polo würde jetzt bestimmt an Dramatik gewinnen.
Seine Töchter würden ihn überzeugen (falls er es nicht jetzt schon völlig war), daß etwas Schreckliches vor sich ging. Er würde zusammenkrachen. Er würde zerbröckeln. Womöglich würde er auf die klassische Art verrückt werden: sich die Haare ausraufen, sich die Kleider runterfetzen, sich mit dem eigenen Kot beschmieren.
O ja, der Sieg war nahe. Und hätte es dann nicht das volle Wohlwollen seiner Meister? Würde man es nicht mit Lobpreis überschütten und mit Macht?
Lediglich eine einzige Manifestation war erforderlich. Ein endgültiger, zündend genialischer Eingriff, und Polo wäre nur noch flennendes Fleisch.
Müde, aber seiner Sache ziemlich sicher stieg das Geyatter zum Wohnzimmer hinab.
Amanda lag in voller Länge eingeschlafen auf dem Sofa.
Offensichtlich träumte sie von dem Truthahn. Sie rollte die Augen unter den hauchzarten Lidern, ihre Unterlippe zitterte.
Gina saß neben dem Radio, das jetzt zum Schweigen gebracht war. Sie hatte ein aufgeschlagenes Buch auf dem Schoß, aber sie las nicht.
Der Gewürzgurken-Importeur war nicht im Zimmer. War das nicht sein Schritt auf der Treppe? Ja, er ging nach oben, seine brandyvolle Blase erleichtern.
Ideales Timing.
Das Geyatter durchquerte das Zimmer. Im Schlaf sah Amanda etwas Dunkles über ihr Traumbild huschen, etwas Bösartiges, etwas, das bitter schmeckte in ihrem Mund.
Gina sah von ihrem Buch auf.
Die silbernen Kugeln am Baum schaukelten sanft. Nicht bloß die Kugeln. Auch das Lametta und die Zweige. Genaugenommen, der Baum, Der ganze Baum schaukelte, als hätte ihn gerade jemand in die Hand genommen.
Gina wurde es äußerst mulmig
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