Das 2. Gesicht
ausdruckslos an. „Such dir eins aus“, sagte er. „Es sind ja genug da.“
„Wo hast du denn bisher geschlafen?“, fragte ich ihn.
„Ich habe hier noch nie geschlafen!“, sagte er.
„Wie bitte? Wo schläfst du denn normalerweise?“, fragte ich.
„In der Hütte, wenn ich schreibe. Und sonst bin ich meist unterwegs.“
„Zu welchem Schlafzimmer würdest du uns denn hier raten?“, beeilte ich mich zu fragen, um mein Entsetzten zu überspielen.
„Ich habe dir doch gesagt, dass du dir eins aussuchen kannst, ich würde an deiner Stelle eins mit Blick auf den Caloosa nehmen. Obwohl man den nachts ja auch nicht sieht.“
Das sah nicht nach einem sehr gesunden Eheleben aus. Ich musste mich anstrengen, die aufkommende Panik zu unterdrücken.
„Sag mal, gibt es hier eigentlich Personal oder muss ich dieses schnucklige Einfamilienhäuschen selbst putzen“, versuchte ich zu scherzen.
„Selbstverständlich gibt es Personal. Elly, die Haushälterin, kommt jeden Tag, dreimal die Woche eine Putzkolonne, zweimal in der Woche ein Gärtnerunternehmen, einmal in der Woche der Pool-Dienst, einmal im Monat Pest Control, habe ich etwas vergessen?“ Er schaute mich herausfordernd an. Warum war er plötzlich so wütend?
„Wo sind deine Sachen?“, bohrte ich weiter.
„Was für Sachen?“, fragte er.
„Deine Klamotten, Kleiderschrank, Fotos, Erinnerungen, wo ist hier dein Reich?“
„Habe ich doch gesagt, im Strandhaus.“
„Du hast nicht mal Anzüge hier? Wäsche?“
„Ich bringe die schmutzige Wäsche in die Waschküche und Elly sorgt dafür, dass sie sauber gemacht wird“, sagte er.
Langsam aber sicher fiel bei mir der Groschen. Er lebte hier gar nicht, er wohnte hier einfach nicht. Mein liebender Ehemann hatte sich ebenso ein Haus zugelegt, wie er sich eine Ehefrau zugelegt hatte. Zum Angucken. Ich merkte, dass mir eine Hauptrolle in seinem Film zugedacht war, und befürchtete bereits, dass es ein Drama werden würde. Nein, das stimmt nicht. In diesem Moment, damals, an meinem ersten Tag in diesem Haus,
wusste
ich bereits, dass es ein Drama werden würde.
In den ersten Wochen zeigte mir George tagsüber die Gegend. Fort Myers gewann nicht gerade den ersten Preis im Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“. Natürlich gab es hier die hochherrschaftlichen Villen entlang des McGregor Boulevards, aber nicht weit entfernt lagen auch Slums. Gute und weniger gute Viertel waren hier nicht so abgegrenzt wie in Deutschland. Hübsch fand ich allerdings Fort Myers Beach, das bunte Touristenviertel der Stadt.
Ansonsten schien Fort Myers eher das Geschäftsviertel von Cape Coral zu sein, das am gegenüberliegenden Ufer des Caloosahatchee Rivers lag und durch zwei Brücken mit der alten Stadt Fort Myers verbunden war. Da ich mit meinem Liebsten nun einmal quer durch die Vereinigten Staaten gefahren war, war ich bereits an die eher unaufregenden Main Streets mit ihren Shopping Malls gewöhnt. George zeigte mir, wo man einkaufen konnte, er zeigte mir die Edison Mall und die Bell Towers, fuhr mit mir zu den unzähligen Outlets, die sich rund um Fort Myers angesiedelt hatten, ebenso wie auf den Flohmarkt am Wochenende. Mein Ehemann hatte wirklich eine Engelsgeduld, wenn es darum ging, einen neuen Badeanzug für mich zu finden. Nur ins Bett ging er nicht mehr mit mir.
George hatte eine Pilotenlizenz und eine Cessna auf dem Flughafen Page Field stehen. Er nahm mich mit und zeigte mir meine neue Heimat von oben, wir flogen über die Everglades zum Mittagessen nach Miami und zum Brunch nach Boca Raton.
Mit dem Boot, das an einem Bootssteg direkt hinter dem Haus lag, fuhren wir hinaus auf den Caloosahatchee River, der in Fort Myers Beach in den Golf von Mexiko mündet, rund um die vielen Inseln und Inselchen, Keys genannt, von denen ich mir kaum all die Namen merken konnte. Wir legten an in Sanibel und Captiva, in Pine Island und im Yachthafen von Cape Coral. Es war eine wildromantische Ferienwelt, aber irgendwann müssen auch die längsten Flitterwochen enden.
George verbrachte jede Nacht in seinem Strandhaus, um zu schreiben.
„Engelchen, ich bin gewaltig in Verzug. Wenn ich jetzt nicht bald den neuen Roman schreibe, kriege ich Ärger mit dem Verlag.“ Bald kam er tagelang nicht mehr nach Hause.
Dabei verlief unsere Ehe ansonsten ganz harmonisch. George erfüllte mir jeden Wunsch sofort, ich konnte in diesem Haus schalten und walten, wie ich wollte. In der ersten Zeit kam ich mir vor wie in einem
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