Das 2. Gesicht
exklusiven Wellnesshotel. Morgens nach dem Aufstehen ging ich eine Runde im Pool schwimmen, danach bekam ich ein Fünf-Sterne-Frühstück von Elly, die ebenso nett wie zurückhaltend war. Elly bemühte sich einfach, nicht aufzufallen in diesem Haus. Sie war Polin mit Green Card, was unsere Kommunikation etwas schwierig machte, denn ihr Englisch war in etwa so gut wie mein Polnisch.
Also freute ich mich auf die drei Tage in der Woche, an denen die Putzkolonne kam, denn die bemühte sich nicht, auf Zehenspitzen durch das Haus zu schleichen. Auch die Gärtnerkolonne brachte ein wenig Abwechslung und vor allem Geräusche in mein Leben. Geräusche, die ich einordnen konnte. In Amerika sind alle Maschinen laut, wohl, damit man merkt, dass gearbeitet wird. Ich war dafür sehr dankbar.
Ich hatte mir ein Schlafzimmer im Erdgeschoss ausgesucht, das direkten Zugang zum Garten und zum Pool hatte. Wenn ich im Bett lag, konnte ich den Garten bis runter zum Wasser überblicken. In den River führte ein langer Bootssteg, an dem das große weiße Boot festmachte, mit dem George meist zu seinem Strandhaus fuhr. Was mich aber noch mehr faszinierte an diesem Schlafzimmer, waren die in die sehr hohe Decke eingelassenen Dinge, von denen ich rätselte, was wozu diente. Irgendetwas blinkte hier immer, da waren der Rauchmelder und die Ausgänge der Klimaanlage, die Ausgänge der zentralen Beschallungsanlage, es gab einen Wärme-Bewegungs-Melder, der anfing zu blinken, wenn ich aus meinem Bett aufstand, was gar nicht so einfach war. Das Bett war ein echtes Prinzessin-auf-der-Erbse-Bett, wenn ich davor stand, ging mir die Matratze bis weit über den Bauchnabel. Man kam in dieses Bett nur rein, wenn man Anlauf nahm und sich mit einer eleganten Flanke seitlich hineinwälzte.
An der Wand waren so viele Schalter angebracht, dass ich noch nach Wochen immer wieder alle ausprobieren musste, um die richtigen zu finden. Die Funktion der meisten Schalter erschloss sich mir einfach nicht.
Meinen Mann sah ich immer seltener, er hatte gerade eine „unglaublich gute Phase“, wie er es nannte, die es zu nutzen galt. Er saß in seinem Strandhaus und schrieb. Wobei ich ihn nicht mal anrufen konnte, denn Störungen in seinem Schreibflow nahm er einem ausgesprochen übel. Er rief an, kam ab und zu vorbei, um „nach dem Rechten zu sehen“.
Es war also abzusehen, dass ich bald das Gefühl hatte, durchzudrehen. Erschwert wurde die Situation durch die von mir noch nicht beherrschte Technik. Wenn ich zum Beispiel nachts aufstand, um mir ein Glas Wasser zu holen, ging die Alarmanlage los und ein paar Minuten später stand der Sicherheitsdienst vor der Tür. In den ersten Wochen passierte das praktisch jede zweite Nacht. Wenn es nicht die Alarmanlage war, dann war es die Batterie eines Rauchmelders, die nervenzerfetzend so lange piepte, bis Elly mich am nächsten Morgen von dem Übel erlöste. Einmal ging nachts die Sirene im Küchentrakt an, der Backofen spielte einfach verrückt. Ein andermal veranstaltete der Pool nachts eine Discoparty, alle Lichter blinkten und aus der zentralen Beschallungsanlage quoll Gloria Gaynor. Dieses Haus wurde nicht von Menschen bewohnt, sondern von der Technik. Wenn man in der Waschküche Licht machte, ging die Garagentür auf der gegenüberliegenden Seite des Hauses auf. Machte man im zentralen Wohnzimmer den Ventilator an, dann liefen im ganzen Haus die Ventilatoren und dachten auch nicht daran, aufzuhören, wenn man den im Wohnzimmer wieder ausschaltete. Allein dieses Problem hat mich zwei ganze Tage gekostet.
Was mich aber am meisten irritierte: Ich wohnte im Haus eines weltberühmten Schriftstellers und es gab kein einziges Buch. Wenn man von der in Leder gebundenen Bibel absah, auf der dekorativ eine Lampe stand. Meine winzige Wohnung in Berlin bestand praktisch nur aus Billy-Regalen mit Büchern, auch zu Hause bei meiner Mutter war ich zwischen Bücherwänden aufgewachsen.
Wenn ich mich bei George über den Technik-Gau beschwerte, lachte er nur und sagte, ich würde das bald alles gelernt haben, es sei einfach so. Allerdings verbot er mir, die Technik auszuschalten.
„Stell dir mal vor, es wird eingebrochen und du bist ganz allein im Haus. Nein, da kann ich nicht in Ruhe arbeiten, ich hätte immer Angst, dass du überfallen wirst“, sagte er und küsste mich auf meinen Kopf.
Ich bat ihn, mir eine neue Matratze kaufen zu dürfen, weil ich keine Lust auf das abendliche Aerobic hatte.
„Selbstverständlich, Liebling,
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