Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
Vom Netzwerk:
bestell dir, was du willst. Es wird sofort geliefert.“
    Wann immer ich in die Stadt wollte, um einzukaufen, kam er mir zuvor, indem meine Wünsche frei Haus geliefert wurden. Er kam gar nicht auf die Idee, dass mir in diesem entsetzlichen Haus im wahrsten Sinne des Wortes die Decke auf den Kopf fiel. Ich war es gewohnt, mein eigenes Geld zu verdienen und damit tun und lassen zu können, was ich wollte. Jetzt hatte ich das Gefühl, dass ich von ihm hundertprozentig abhängig war. Bei einem seiner Besuche sagte ich es ihm.
    „Aber Schatz“, sagte er erstaunt, „du kannst doch hier tun und lassen, was du willst. Wenn du in die Stadt willst, dann nimmst du einen Wagen und fährst. Du hast eine Kreditkarte ohne Limit von mir bekommen und kannst damit tun und lassen, was du willst. Ich verstehe dein Problem nicht.“
    Das Problem war, dass ich mich nach unserer Hochzeitsreise und den tollen ersten Wochen hier entsetzlich einsam fühlte. Keine Freunde, keine Kollegen, sogar unsere Nachbarn hatte ich noch nie gesehen. Sie schienen hier ebenso wenig zu wohnen wie George.
    „Ich habe schon überlegt, ob ich mir nicht einen Job suchen sollte“, sagte ich.
    „Bist du verrückt geworden, meine Frau muss doch nicht arbeiten!“, protestierte er.
    „Aber ich will irgendetwas tun, verstehst du das nicht?“ Er verstand es ganz offensichtlich nicht. Wir gingen nach den ersten Wochen, in denen er mir Southwest Florida gezeigt hatte, nie mehr zusammen aus. Es gab keine Freunde, die zu Besuch kamen, es gab keine Feste, es gab nur diesen Hochsicherheitstrakt, Elly, die Putzen und die Gärtnerkolonne. Ach ja, die Pool-Pfleger und den Sicherheitsdienst nicht zu vergessen. Und die Pest Control.
    Fort Myers selbst hatte man in einigen Tagen durch. Ich verbrachte meine Tage immer öfter in den Bell Towers, wo ich vieles einkaufte, um das Haus ein wenig heimeliger zu machen.
    Nacht für Nacht grübelte ich darüber, warum George mich geheiratet hatte. Ich war mir so sicher gewesen, dass es die große Liebe war. Warum schlief mein Mann nicht mit mir? Das war ein Problem, auf dem ich rumkaute wie auf einem ausgelutschten Kaugummi. War ich plötzlich nicht mehr attraktiv für ihn? Was hatte ich getan, dass er mir die kalte Schulter zeigte, ja, offensichtlich aus unserer Ehe floh?
    Wie gern hätte ich mit Sandra darüber geskypt, aber ich hatte schon ein Problem damit, mir unsere Eheflaute selbst zu erklären. Es war mir viel zu peinlich, Sandra die Wahrheit zu sagen.
    Also beriet ich mich selbst. Es gab überhaupt keinen Grund, weiterhin meinen Busen unter weiten Blusen zu verstecken und das Make-up so dezent zu halten, dass nude schon zu dick aufgetragen wäre. Ich verbrachte viel Zeit vor dem Spiegel und beschloss, meine weiblichen Reize ein wenig mehr in Szene zu setzen, wenn mein Ehemann es denn beliebte, zwischen zwei Kapiteln mal sein Heim aufzusuchen.
    Als Erstes rückte ich meinen kurzen Fingernägeln mit Hilfe eines Nagelstudios zu Leibe. Nach eineinhalb schweigend verbrachten Stunden mit einer Vietnamesin sahen meine Hände angenehm weiblich aus. Meine neuen Gelnägel glitzerten in Knallrot mit silbernen Sprenkeln. Ich fand sie bildschön. In einem sündhaft teuren Day Spa ließ ich mir Wimpern-Extensions machen. Danach beglückte ich Macy’s mit meinem Besuch und kaufte die halbe Kosmetikabteilung leer.
    Zuhause pflanzte ich mich vor den Spiegel und trug schichtweise meine Errungenschaften auf. Ich merkte selbst, dass ich anfing, umwerfend auszusehen. Während ich noch mit dem Rougepinsel übte, hörte ich, wie George die Auffahrt hochfuhr. Schnell beendete ich mein Werk, zog mir mein neues, hautenges, schwarzes Mini-Kleid über, schlüpfte in meine scharfen, silbernen High Heels und stöckelte Richtung Eingang. Als George die Tür aufschloss und mich sah, ließ er vor Schreck die Schlüssel fallen.
    „Wie siehst du denn aus?“, blaffte er fassungslos.
    „Willkommen zu Hause, Liebling“, wisperte ich und lächelte das, was ich für ein verführerisches Lächeln hielt.
    „Zieh diese Klamotten aus, sofort! Du siehst aus wie eine Nutte!“, schrie er.
    Ich starrte ihn sekundenlang ebenfalls fassungslos an.
    „Ich habe mich für dich schön gemacht“, sagte ich und merkte, wie sich eine Träne aus meinen künstlich verlängerten Wimpern löste.
    „Hure, verfluchte Hure! Los, ausziehen! Auf der Stelle. Und dieser widerliche Nagellack. Mach den sofort ab. Sofort.“ Er schrie es.
    Ich habe in meinem Leben noch niemals einen

Weitere Kostenlose Bücher