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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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Menschen so wütend gesehen wie meinen frischgebackenen Ehemann. Sein geliebtes Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzogen, er kam drohend auf mich zu. Ich flüchtete ins Bad, aus Angst, dass er mich schlagen würde. Zitternd setzte ich mich auf die Toilette und weinte bittere Tränen. Mein Versuch, für ihn attraktiver zu werden, war gründlich schiefgegangen. Was hatte meine Freundin Sandra damals gesagt? Vielleicht steht er auf streng aussehende Mädchen. Jetzt hieß es, Haltung bewahren. Hinfallen, aufstehen, Krönchen zurechtrücken, weitergehen, hatte Sandra immer gesagt. Gute, liebe Sandra. Ich zog also die silbernen Riemchenschuhe aus, entfernte das Kleid und das Make-up. Die Extensions und die Gelnägel erwiesen sich als hartnäckiger. Ich hatte noch nicht einmal Nagellackentferner im Haus. Als ich das Bad verließ, war ich bis auf Hände und Augen also fast wieder die Alte. Mein Ehemann saß auf meinem Bett, das eigentlich seines war, und wartete auf mich.
    „Mach diese Nuttennägel ab oder ich ziehe dir jeden einzelnen mit der Zange raus!“, schrie er, als ich schüchtern in der Tür stand.
    Ich floh ins Bad und schloss mich erneut ein. Fieberhaft überlegte ich, wie ich diese sogenannten Nuttennägel halbwegs schmerzfrei entfernen konnte. Ich nahm eine Feile und feilte mir den Nagellack und die Nägel bis zur Fingerkuppe runter. Dabei liefen mir die Tränen aus den Augen. Ich hatte Angst vor diesem fremden Mann, nackte Angst.
    „Bist du endlich fertig?“, schrie er aus dem Schlafzimmer und bummerte gegen die Tür.
    „Ja“, antwortete ich zaghaft und öffnete zitternd die Verriegelung. Er riss die Tür auf.
    „Zeig her!“, befahl er.
    Ich streckte ihm die Hände hin.
    „Gut“, sagte er, drehte sich auf dem Absatz um und verließ das Zimmer. Nach ein paar Minuten hörte ich, wie er wegfuhr.
    Ich schmiss mich auf das inzwischen tiefergelegte Bett und heulte wie ein Teenager mit Liebeskummer.

Waschküche
    Er kam weder an diesem noch am nächsten Tag nach Hause. Wo zum Teufel war seine Strandhütte?, fragte ich mich. Selbstverständlich traute ich mich nicht, hinter ihm herzufahren. Aber wen sollte ich fragen? Elly? Nein, die am allerwenigsten. Selbst, wenn wir beide einer gemeinsamen Sprache mächtig gewesen wären. J.R.? Ich hatte J.R. seit unserer gemeinsamen Lesereise nicht mehr zu Gesicht bekommen. Da ich so froh war, ihn nicht mehr sehen zu müssen, hatte ich es versäumt, George nach ihm zu fragen. Aber J.R. wäre sicher auch nicht die richtige Adresse. Georges hilfreiche Geister, oder wie sollte man die Menschen von Pest Control und dem Pool-Dienst nennen, waren ebenfalls keine geeigneten Auskunftgeber.
    Ich hatte kaum eigenes Geld, außer seinen Kreditkarten, so dass George sämtliche Ausgaben kontrollieren konnte. Auch Sandra wollte ich nicht um finanzielle Hilfe bitten, zu sehr schämte ich mich, bereits nach so kurzer Zeit die Fahne hissen zu müssen. Aber es musste etwas geschehen. So konnte und wollte ich nicht leben. Ich war zu hundert Prozent auf mich allein angewiesen. Also dachte ich nach.
    Wie lange befand sich dieses Haus eigentlich schon im Besitz von George? Und was war mit den Nachbarn? Wenn ich schon niemanden gesehen hatte, nach den Nachbarn konnte ich mich zumindest bei der Security erkundigen. Man kannte mich inzwischen dort ziemlich gut, denn man musste mindestens zweimal in der Woche ausrücken, weil Klein Julia mal wieder nachts auf die Toilette gegangen war oder sich ein Taschentuch geholt hatte.
    Wie so oft im Leben passiert das, was man erwartet, einfach nicht, wenn man darauf lauert. In den folgenden Tagen konnte ich nachts anstellen, was ich wollte, die Alarmanlage schwieg. Am dritten Tag kam George nach Hause.
    Er benahm sich so wie immer. Als ob nichts geschehen sei, so als ob wir immer noch das harmonische, frisch verheiratete Paar wären. Ohne Sex, natürlich. Ich wusste nicht, wie ich mich verhalten sollte. Mein Bedürfnis, über die Ereignisse zu reden, war übermenschlich. Aber irgendetwas hielt mich davon ab, meine innere Stimme warnte mich, nachzubohren. Ich floh also aus dem Haus, genauer gesagt, ich floh vor ihm.
    Vielleicht habe ich aber auch unbewusst den Unfall herbeigeführt. Ich nahm sein Lieblingsauto, den grünen Jaguar, und fuhr damit in die Shopping Mall. Ziellos wanderte ich durch die Geschäfte, ohne Idee, was ich kaufen wollte, was ich kaufen sollte, was ich überhaupt dort zu suchen hatte. Ich wusste nur eins, ich wollte nicht

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