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Das 2. Gesicht

Das 2. Gesicht

Titel: Das 2. Gesicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nika Lubitsch
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noch diese ekelhaft stinkenden Fische, die mein Vater gefangen hatte, auszunehmen. Ich könnte heute noch brechen, wenn ich an den Geruch denke.“ George schüttelte sich. „Und ich verspreche dir eins: Du wirst mich nie, nie mit einer Schürze hinter einem Grill sehen oder mit irgendeinem Buddy das beste Marinaden-Rezept der Welt austauschen. Großes Indianerehrenwort! Wenn wir nicht angeln waren, dann musste ich mit Vater zur Jagd in die Green Mountains fahren. Mir tun die armen Tiere leid, ob Fische oder Rehe.“
    Ich lächelte George an.
    „Wenn ich es richtig sehe, dann lehnst du deine gesamte amerikanische Erziehung ab. Hast du deshalb dein Leben lang auf eine echte Berliner Göre aus Schöneberg gewartet?“, fragte ich ihn im Spaß.
    „Ich habe mein Leben lang auf eine Frau gewartet, die nicht wie ein Cheerleader kreischt und sich Fingernägel ankleben lässt.“
    Autsch.
    „Wie schaffst du es eigentlich, doch immer wieder den großen amerikanischen Thriller zu schreiben, wenn du alles, was für deine Landsleute normal ist, total ablehnst?“, fragte ich ihn erstaunt.
    „Glaube mir, so eine Erziehung sitzt tief. Die kannst du nie abschütteln.“
    „Eigentlich hört sich das aber nach einer glücklichen Kindheit an, mit viel Spaß und Zeit, die sich dein Vater für dich genommen hat.“
    „Oh ja“, sagte George, „er hat kein Baseballspiel versäumt, an dem ich teilnehmen musste. Vorher hat er mir stundenlang Ratschläge gegeben, wie ich es richtig machen muss, und nachher habe ich mir stundenlang Vorwürfe angehört, warum ich es nicht so gemacht habe, wie er gesagt hat.“
    „Ich dachte an das Angeln, das Jagen, an das Grillen. Das hört sich nach einem sehr gesunden Familienleben an.“
    „Wahnsinnig komisch. Ich musste um vier Uhr morgens aufstehen, um stundenlang stumm neben meinem Alten in der Kälte zu zittern. Kannst du mir sagen, was an Angeln gutes Familienleben ist? Warum konnte ich nicht wie andere Kinder den Sonntagmorgen vor der Glotze verbringen, anstatt am Lake Champlain. Ich wäre sogar freiwillig lieber in die Kirche gegangen. Aber nein – ich musste angeln. Oder jagen. Mein Adoptivvater fand es vollkommen richtig, mich mit zwölf Jahren im Gebrauch eines Jagdgewehrs zu unterweisen. Und dann machten wir so eine richtige Männersause, mit Dosenbier und Sandwiches auf zu der Jagdhütte auf dem Mount Mansfield.
    „Und das Grillen? Hört sich doch nach einem netten Abend mit Familie und Freunden an. Ich liebte es, wenn wir mit meiner Mutter bei Freunden zum Grillen eingeladen waren. In Schöneberg ging das nicht, da hatten wir leider nur einen Balkon, auf dem war Grillen verboten.“
    „Julia“, sagte mein Ehemann, „das sind archaische Rituale. Der Mann erlegt erst das Tier, weidet es aus und dann röstet er es auf dem Feuer, während die liebende Gattin einen Kürbismuffin bäckt und sich um Charity kümmert.“
    War das der Grund, warum George nicht wollte, dass ich mich für ein Charity-Projekt engagierte? Entsprach das vielleicht ebenfalls einem Klischee, das er ablehnte? Ich fragte ihn, ob seine Mutter sich um Charity gekümmert hätte.
    „Sie ist so bigott, dass einem schlecht werden kann. Es gibt kein Charity-Projekt in Burlington, in dem sie nicht ihre Finger drin hat. Aber glaube ja nicht, dass sie jemals in ihrem ganzen Leben Mitleid oder Verständnis für diejenigen hatte, denen es schlechter ging als ihr. Nicht eine einzige Sekunde, glaub mir. Sie ist unendlich selbstgefällig.“
    „Aber sie haben dich doch adoptiert, ist das nicht gelebte Nächstenliebe?“, fragte ich.
    „Meine Adoptivmutter konnte selbst keine Kinder bekommen, ich gehörte einfach zu ihrem Lebensplan“, sagte George und es hörte sich mehr als bitter an.
    „Weißt du etwas über deine richtigen Eltern?“, fragte ich. In seiner Biografie hatte darüber kein Wort gestanden.
    George schaute mich an, und ich sah, wie seine Augen sich verdüsterten. Es war, als ob ein Schatten über sein Gesicht huschte. Er schüttelte den Kopf und in diesem Moment wusste ich, dass er log. Ich nahm mir vor, später darauf zurückzukommen.
    George nahm mich in den Arm. Jetzt war wieder alles gut. Immer wenn ich in seinen Armen lag, seinen Geruch einatmete, dann wusste ich, dass ich diesen Mann vollkommen irrsinnig liebte, ihn immer lieben würde und dass ich von ihm wiedergeliebt wurde.

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