Das 5. Gebot (German Edition)
konnte. Nora Lizzy war ein Luder. Sie war seine Mutter. Er war dreizehn, als sie starb.
5. George
„Vicky, du willst mir doch nicht im Ernst erzählen, dass du heute auf eine Zwillingsschwester gestoßen bist, von der du seit siebenunddreißig Jahren nichts gewusst hast“, sagte George, als sie abends im Restaurant saßen. Er musterte seine Frau zweifelnd, während sie ein Stück Brot über ihrem Teller zerpflückte.
„Wenn du die Tote gesehen hättest, würdest du das Gleiche denken. Die Frau sah genauso aus wie ich.“
Irrte er sich oder glitzerten da schon wieder Tränen in Vickys Augen?
Sie hatten sich schon am Morgen gestritten. „Fass mich nicht an“, hatte sie geschrien, als er sie tröstend in die Arme nehmen wollte. Dafür war er extra aus einem Meeting fortgeeilt. So kannte George seine Frau nicht. Vicky neigte normalerweise nicht zur Hysterie. Dabei hatte er den Eindruck gehabt, dass sie sich in der Zwischenzeit wieder gefangen hatte. Sie waren zum Abendessen in die Alte Fischerhütte gefahren, vor der immer noch Vickys Smart parkte.
„Schatz, gibt es vielleicht etwas zu feiern? Du hast nicht zufällig Appetit auf Gurke? Oder auf Eiscreme mit Senf?“
„Tut mir leid, George, ich habe heute früh meine Tage gekriegt.“
„Ach so, und ich dachte schon, es sind die Hormone.“ Im selben Moment merkte er, dass er sich seinen ironischen Unterton besser verkneifen sollte. „Vicky, es gibt nur eine begrenzte Anzahl von menschlichen Typen. Es ist ganz normal, dass viele Menschen einander ähnlich sehen. Ich verstehe ja, dass du unter Schock gestanden hast, da kann man sich leicht etwas einbilden, vor allem, wenn die Frau der gleiche Typ war wie du. Aber ich verstehe immer noch nicht, warum du so kopflos weggelaufen bist. Die coole Juristin, die ich mal geheiratet habe, hätte auf die Polizei gewartet. Und wenn die Tote von der Krummen Lanke wirklich genauso aussieht wie du, dann hätte meine schnoddrige Frau, so wie ich sie kenne, zu den Polizisten gesagt: Wie wäre es mit einem Gentest, sieht so aus, als ob mein Dad fremdgegangen ist und ich eine Schwester hatte, von der ich nichts wusste.“
„Du weißt ganz genau, dass Daddy nicht fremdgegangen sein kann. Er war schon todkrank, als er Mum geheiratet hat. Die Monate vor meiner Geburt hat er zu Hause im Bett gelegen, bis er gestorben ist! Meine Mutter hat es doch oft genug erzählt.“
„Ja, deine Mutter ...“ George nickte dem Mann unmerklich zu, der sich an ihrem Tisch vorbeizwängte.
„Willst du meiner Mutter unterstellen, dass sie lügt? Und Onkel Willy auch?“
„Irre ich mich oder wohnte Onkel Willy zum Zeitpunkt deiner Geburt nicht ein paar hundert Meilen entfernt im lauschigen Sheffield?“, fragte George. Onkel Willy war ihm schon immer auf die Nerven gegangen. Vor allem, weil er Mühe hatte, Onkel Willys Akzent zu verstehen. Der ehemalige Bergarbeiter pflegte seine Herkunft wie andere Leute ihren Vorgarten.
„Ich rede nicht von einer Schwester, die mir entfernt ähnlich sieht, George. Du hast es eben gesagt: Ich rede von einer Zwillingsschwester.“
Eine Träne rann über Vickys Wange. George versuchte die Hand seiner Frau zu greifen, aber sie entzog sich ihm.
„Also Daddy war ein Chorknabe“, sagte er, „und hat nie eine andere Frau als deine Mutter gehabt. Das glaubst du doch selbst nicht. Er war nicht zufällig in Deutschland stationiert, als er bei der Armee war?“ Auf was für eine Diskussion lasse ich mich hier eigentlich gerade ein?, fragte sich George. Das war einfach hirnrissig.
„Mein Vater ist nie bei der Armee gewesen. Er war immer krank. Mum hat ihn im Krankenhaus kennengelernt, er hat auf ihrer Station gelegen.“
„Und wenn Daddy gar nicht Daddy war, sondern deine Mutter fremdgegangen ist? Wäre ja auch eine denkbare Variante.“
„Ich bin doch kein Kuckuckskind!“
„Oh, Verzeihung …“ Es wird Zeit, dass Vicky etwas zu tun kriegt, dachte George, sonst dreht sie völlig durch. Natürlich wusste er, wie sehr Victoria an ihrer Mutter hing und wie sehr sie ihr hier fehlte. Die beiden waren immer zwei gegen den Rest der Welt gewesen. Eigentlich mochte er seine Schwiegermutter. Wenn sie nur nicht so schrecklich fixiert auf Vicky gewesen wäre. Sie hatte ihr gesamtes Leben auf die Erziehung ihrer Tochter ausgerichtet, was als junge Witwe schwer genug gewesen war. Jahrelang hatte Fiona nur Nachtdienste gemacht, um tagsüber für ihre Tochter da sein zu können.
„George, dein Ton gefällt mir
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