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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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das er eigens zu diesem Zweck mitgebracht hatte, und in einem Koffer eingeschlossen –, war er erschöpft.
    Morgen fliege ich nach Rio, dachte er, als er das Haus verließ, und fordere den Rest meines Honorars. Dann: Florida.
    Er verbrachte den Abend in dem kleinen Apartment, das er für die langwierige Arbeit des Beobachtens und Planens, die diesem Abend vorausgegangen war, gemietet hatte. Er war froh, daß er fortkonnte. Er war einsam gewesen und hatte ängstliche Vorahnungen gehabt. Jetzt war der Auftrag ausgeführt, und er konnte die Zeit hier vergessen.
    Er schlief gut, weil er sich vom eingebildeten Geruch von Orangenhainen in den Schlaf lullen ließ.
    Aber als er erwachte, roch er keine Früchte, sondern etwas Kräftigeres. Es war dunkel im Zimmer. Er griff nach rechts neben das Bett und tastete nach dem Schalter der Lampe, aber sie ging nicht an.
    Jetzt hörte er auf der anderen Seite des Zimmers ein träges Glucksen. Er richtete sich im Bett auf und kniff in der Dunkelheit die Augen zusammen, konnte aber nichts sehen. Er schwang die Beine aus dem Bett und wollte aufstehen.
    Sein erster Gedanke war, daß er den Wasserhahn im Bad aufgedreht gelassen und daß das Apartment überschwemmt war. Er stand knietief in warmem Wasser. Verwirrt watete er zur Tür, suchte den Lichtschalter für die Deckenbeleuchtung und drückte darauf. Es war nicht Wasser, worin er stand. Zu widerlich, zu wertvoll; zu rot.
    Er stieß einen Schrei des Ekels aus und drehte sich um, weil er die Tür aufreißen wollte, aber sie war verschlossen, und es war kein Schlüssel da. Er trommelte mit den Fäusten eine panische Salve auf das solide Holz und schrie um Hilfe. Sein Flehen blieb unerhört.
    Jetzt sah er sich im Zimmer um, während ihm die warmen Fluten um die Schenkel schwappten, und suchte nach dem Springbrunnen.
    Der Koffer. Er stand auf dem Schreibtisch, wo er ihn abgestellt hatte, und blutete aus jeder Naht, aus den Schlössern, aus den Scharnieren - als würden Hunderte von Grausamkeiten in seinem Inneren verübt und das Gehäuse könne die Flut nicht halten, die diese Taten auslösten.
    Er sah zu, wie das Blut in dampfendem Überfluß heraussprudelte. In den wenigen Sekunden, seit er das Bett verlassen hatte, war der See um mehrere Zentimeter gestiegen, und die Sintflut hörte noch nicht auf.
    Er versuchte es an der Badezimmertür, aber auch sie war verschlossen und ohne Schlüssel. Er versuchte es am Fenster, aber die Rolläden ließen sich nicht bewegen.
    Jetzt ging ihm das Blut schon bis zur Taille. Der Großteil der Möbelstücke schwamm. Er wußte, er war verloren, wenn er nicht selbst etwas unternahm, und so watete er durch die Fluten zum Koffer und preßte die Hände auf den Deckel in der Hoffnung, daß das den Strom eindämmen würde. Es war aussichtslos. Als er den Koffer berührte, schien das Blut mit neu erwachtem Eifer zu fließen und drohte die Nähte zu zerreißen.
    Die Geschichten gehen weiter, hatte der Junge gesagt. Sie bluten und bluten. Und jetzt schien er sie in seinem Kopf zu hören, diese Geschichten. Dutzende von Stimmen, und jede erzählte ein tragisches Schicksal.
    Die Wogen trugen ihn zur Decke empor. Er paddelte, um das Kinn über der schäumenden Flut zu halten, aber nach ein paar Minuten war kaum noch ein Zwischenraum bis zur Zimmerdecke. Als auch dieser zunehmend schwand, gesellte sich seine eigene Stimme zu der Kakophonie und flehte, daß der Alptraum aufhören sollte. Aber die anderen Stimmen ertränkten ihn mit ihren Geschichten, und als er die Decke küßte, ging ihm die Luft aus.
    Auch die Toten haben Straßen. Unbeirrbar durchschneiden die Bahnen ihrer Geisterzüge, ihrer Traumwaggons das Ödland hinter unserem Leben und befördern einen nicht enden wollenden Strom abgeschiedener Seelen. Auch Wegweiser haben sie, diese Straßen, und Brücken und Parkstreifen. Mautstrecken haben sie und Kreuzungen.
    An einer dieser Kreuzungen erblickte Leon Wyburd den Mann im roten Anzug. Das Gedränge schob ihn weiter, und erst als er näher kam, wurde ihm sein Irrtum klar. Der Mann hatte keinen Anzug am Leib. Er hatte nicht einmal seine Haut am Leib. Aber es war nicht der Junge McNeal; der war schon lange von diesem Punkt aus weitergezogen. Es war ein ganz anderer gehäuteter Mann. Leon gesellte sich zu dem Mann, und sie unterhielten sich, während sie weitergingen. Der gehäutete Mann erzählte ihm, wie er in diesen Zustand gekommen war, von der Verschwörung seines Schwagers und der Undankbarkeit seiner

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