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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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schwarze Lackkästchen aus der Jackentasche. Der Hausmeister sah nach oben. Er hatte den Schuß auch gehört.
    »Das war nichts«, sagte Butterfield zu ihm. »Schüren Sie das Feuer.«
    Chaplin gehorchte. Die Hitze in dem engen Keller wurde immer schlimmer. Der Hausmeister fing an zu schwitzen. Sein Besucher nicht. Er stand wenige Meter vom Ofen entfernt und sah gleichgültig in das lodernde Innere. Schließlich schien er zufrieden zu sein.
    »Genug«, sagte er und machte die Lackschachtel auf. Chaplin glaubte, Bewegungen in ihrem Inneren zu sehen, als wäre sie bis zum Rand mit wuselnden Maden gefüllt, aber bevor er genauer hinsehen konnte, waren Schachtel und Inhalt ins Feuer geworfen worden. »Machen Sie die Tür zu«, sagte Butterfield.
    Chaplin gehorchte.
    »Sie dürfen eine Weile über sie wachen, wenn es Ihnen Spaß macht. Sie brauchen die Hitze. Das macht sie mächtig.«
    Er überließ den Hausmeister seiner Wache beim Ofen und ging wieder die Treppe hinauf. Er hatte die Eingangstür aufgelassen, ein Dealer war hereingekommen, der mit einem Kunden ein Geschäft machte. Sie feilschten im Schatten, bis der Dealer den Anwalt erblickte.
    »Kümmern Sie sich nicht um mich«, sagte Butterfield und ging die Treppe hinauf. Er fand die Witwe Swann auf dem ersten Treppenabsatz. Sie war noch nicht ganz tot, aber er brachte schnell zu Ende, was D’Amour angefangen hatte.
    »Wir sitzen in der Tinte«, sagte Valentin. »Ich höre Lärm unten. Gibt es einen anderen Weg nach draußen?«
    Harry saß an den umgestürzten Aktenschrank gelehnt auf dem Boden und bemühte sich, nicht an Dorotheas Gesicht zu denken, als die Kugel sie getroffen hatte, oder an die Kreatur, auf deren Hilfe er jetzt angewiesen war.
    »Es gibt eine Feuertreppe«, sagte er. »Sie führt an der Rückseite des Hauses hinunter.«
    »Zeigen Sie sie mir«, sagte Valentin und versuchte, ihn auf die Beine zu ziehen.
    »Rühren Sie mich nicht an!«
    Valentin ließ ihn, gekränkt über die Zurechtweisung, los.
    »Tut mir leid«, sagte er. »Vielleicht sollte ich nicht darauf hoffen, daß Sie mich akzeptieren. Aber ich hoffe es trotzdem.«
    Harry sagte nichts, stand nur auf inmitten des Durcheinanders von Akten und Fotos. Er hatte ein schmutziges Leben geführt: für rachsüchtige Partner Ehebrüchen nachspioniert, Rinnsteine nach vermißten Kindern abgesucht, sich in Gesellschaft von Abschaum aufgehalten, weil dieser zur Oberfläche stieg, während der Rest einfach ertrank. Konnte Valentins Seele viel schmutziger sein?
    »Die Feuerleiter ist am Ende des Flurs«, sagte er.
    »Wir können Swann immer noch wegbringen«, sagte Valentin. »Ihm immer noch eine anständige Feuerbestattung zukommen lassen…« Daß der Dämon so besessen vom würdigen Abgang seines Meisters war, hatte auf seine Weise etwas Rührendes. »Aber Sie müssen mir helfen. Harry.«
    »Ich helfe Ihnen«, sagte er, sah die Kreatur aber nicht an.
    »Rechnen Sie nur nicht mit Liebe und Zuneigung.«
    Wenn es möglich war, daß man ein Lächeln hören konnte, dann hörte er genau das.
    »Sie wollen das vor dem Morgengrauen hinter sich gebracht haben«, sagte der Dämon.
    »Das kann nicht mehr lange dauern.«
    »Vielleicht eine Stunde«, antwortete Valentin. »Aber das genügt. So oder so, es genügt.«
    Das Geräusch des Ofens beruhigte Chaplin. Sein Dröhnen und Prasseln war ihm so vertraut wie das Rumoren in den eigenen Eingeweiden. Aber hinter der Tür schwoll ein anderes Geräusch an, wie er es noch nie gehört hatte. Sein Verstand erzeugte alberne Bilder dazu: lachende Schweine, Glas und Stacheldraht, die zwischen Zähnen zermalmt wurden, Hufe, die auf der Tür tanzten. Je lauter die Geräusche wurden, desto mehr wuchs seine Angst, aber als er zur Kellertür ging, um Hilfe zu holen, war diese verschlossen. Der Schlüssel war nicht mehr da. Und als wäre das alles noch nicht schlimm genug, ging auch noch das Licht aus.
    Er versuchte, sich an ein Gebet zu erinnern: »Heilige Maria, Mutter Gottes, bete für uns Sünder jetzt und in der Stunde…«
    Aber er verstummte, als ihn eine deutliche Stimme ansprach.
    »Michelmas«, sagte sie.
    Es war eindeutig die Stimme seiner Mutter. Und es konnte auch kein Zweifel bestehen, woher sie kam. Aus dem Ofen.
    »Michelmas«, beschwerte sie sich, »möchtest du mich hier drinnen rösten lassen?«
    Es war natürlich unmöglich, daß sie leibhaftig hier war, sie war seit dreizehn Jahren tot. Ein Geist vielleicht? Er glaubte an Geister. Er hatte sie sogar ein

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