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Das 6. Buch des Blutes - 6

Das 6. Buch des Blutes - 6

Titel: Das 6. Buch des Blutes - 6 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Clive Barker
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nachzusehen, ob der Mann etwas anderes hatte, das er benützen konnte, und da, zwischen Schreibtisch und Wand versteckt, fand er die Axt. Sie war schwer, wie Shapiro geprahlt hatte, ihr Gewicht war der erste Trost, den Harry seit zu langer Zeit verspürt hatte. Er ging wieder auf den Flur hinaus. Der Dampf aus dem geplatzten Heizkörper war dichter geworden. Durch seine Schleier konnte man hören, daß das Konzert neuen Auftrieb bekommen hatte. Das erbarmenswerte Wimmern schwoll auf und ab, kontrapunktiert von schwachen Trommelschlägen.
    Er eilte durch die Dampfwolke zur Treppe. Als er den Fuß auf die unterste Stufe stellte, schien die Musik ihn am Kragen zu packen und ihm » Hör zu « ins Ohr zu flüstern. Er wollte nicht zuhören, die Musik war böse. Aber irgendwie war sie – während er damit abgelenkt war, die Axt zu suchen – in seinen Schädel eingedrungen. Sie nahm ihm die Kraft. Nach wenigen Augenblicken erschien ihm die Axt wie eine unerträgliche Last.
    »Komm herunter«, lockte ihn die Musik. »Komm herunter zur Kapelle.«
    Er bemühte sich zwar, das einfache Wort »Nein« zu formen, aber die Musik gewann mit jedem gespielten Ton mehr Einfluß über ihn. Er fing an, Melodien in dem Katzenjammer zu hören, lange, einförmige Themen, die sein Blut träge und seine Gedanken idiotisch machten. Er wußte, der Ursprung der Musik bot keine Freude – sie lockte ihn nur zu Schmerz und Einsamkeit –, und dennoch konnte er das Delirium nicht abschütteln.
    Seine Füße setzten sich in Richtung der Flötenrufe in Bewegung. Er vergaß Valentin, Swann und alle Absichten zu fliehen und ging statt dessen langsam die Treppe hinunter. Die Melodie wurde komplexer. Jetzt konnte er Stimmen hören, die einen freudlosen Begleitgesang in einer ihm unbekannten Sprache anstimmten. Irgendwo oben wurde sein Name gerufen, aber er achtete nicht darauf. Die Musik hielt ihn in ihrem Bann, und jetzt – als er die nächste Treppenflucht hinunterstieg – wurden auch die Musikanten sichtbar.
    Sie waren heller, als er vermutet hatte, und vielfältiger. Barocker in ihrer Erscheinung (die Mähnen, die vielfachen Köpfe), und noch barocker, was ihren Schmuck anbetraf (ein Anzug aus Gesichtshäuten, ein mit Rouge geschminkter Anus).
    Und jetzt verrieten ihm seine schmerzenden Augen, daß die Wahl ihrer Instrumente noch scheußlicher war. Was für Instrumente! Da war Byron, dem man die Knochen abgenagt und mit Pfeifenlöchern versehen hatte und dessen Blase und Lungen als Reservoir für die Luft des Bläsers herausgezogen waren. Er lag bäuchlings auf dem Schoß des Musikanten, und jetzt im Augenblick wurde auf ihm gespielt – die Säcke blähten sich, der zungenlose Kopf gab einen Pfeifton von sich. Dorothea hing, nicht weniger verwandelt, an seiner Seite, die Saiten ihrer Därme wie die einer obszönen Lyra zwischen ihren gespreizten Beinen gespannt; auf ihren Brüsten wurde getrommelt. Es gab noch andere Instrumente, Menschen, die von der Straße hereingekommen und Beute der Bestien geworden waren. Sogar Chaplin war da, dessen Fleisch fast völlig verbrannt war, und auf seinen Rippen wurde ebenso gleichgültig Xylophon gespielt.
    »Ich habe Sie nicht für einen Musikliebhaber gehalten«, sagte Butterfield, zog an einer Zigarette und lächelte zur Begrüßung. »Legen Sie die Axt weg, und kommen Sie zu uns.«
    Das Wort »Axt« erinnerte Harry an das Gewicht in seinen Händen, aber er konnte sich durch die Töne der Musik nicht an seine Bedeutung erinnern.
    »Haben Sie keine Angst«, sagte Butterfield, »Sie tragen an alledem keine Schuld. Wir hegen keinen Groll gegen Sie.«
    »Dorothea…« murmelte er.
    »Auch sie war unschuldig«, sagte der Anwalt, »bis wir ihr einiges gezeigt haben.«
    Harry betrachtete den Körper der Frau, die schrecklichen Veränderungen, die sie an ihr vorgenommen hatten. Als er sie sah, setzte ein Zittern in ihm ein, und etwas kam zwischen ihn und die Musik. Aufsteigende Tränen verdrängten sie.
    »Legen Sie die Axt weg«, sagte Butterfield zu ihm.
    Aber der Lärm des Konzerts konnte es nicht mit der Traurigkeit aufnehmen, die sich in ihm breitmachte. Butterfield schien ihm die Veränderung in den Augen anzusehen, den Ekel und die Wut, die dort zunahmen. Er warf die halbgerauchte Zigarette fort und gab den Musikern ein Zeichen zum Aufhören.
    »Muß es wirklich der Tod sein?« fragte Butterfield, aber er hatte kaum ausgeredet, da ging Harry die letzten paar Stufen hinab auf ihn zu. Er hob die Axt und schlug

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