Das achte Opfer
Haut vom Zeigefinger ab. »Wir hatten noch am Samstag morgen eine Besprechung, bei der meine Mitarbeiter sowie einige der Beamten, die bei den Razzien eingesetzt wurden, anwesend waren. Wer im einzelnen das war, kann ich Ihnen im Augenblick beim besten Willen nicht sagen.« Schweißperlen auf seiner Stirn.
»Dann finden Sie heraus, wer die undichte Stelle ist . . .«
»Und wenn es jemand aus Ihrer Abteilung ist?« fragte er nervös.
»Keiner aus meiner Abteilung. Das garantiere ich Ihnen. Ich will die Namen all jener, die bei der Besprechung anwesend waren, sowie die Namen aller Polizisten, die seit Samstag morgen regelmäßig Kontrollfahrten durchgeführt haben.«
»Das ist fast unmöglich. Das dauert mindestens einen, vielleichtsogar zwei Tage. Was ist denn, wenn die beiden auf dem Gang mit irgend jemandem gesprochen haben? Als wir die anderen nach Hause geschickt haben, waren da mindestens vierzig Frauen und ein paar Männer. Woher wollen Sie wissen, daß nicht irgendeiner von denen etwas damit zu tun hat?«
»Ja, Sie mögen recht haben«, erwiderte sie knapp, doch ihr Gefühl sagte ihr, daß mit Schnell etwas nicht stimmte. Vielleicht war es der Schweiß auf seiner Stirn, obwohl es in dem Zimmer relativ kühl war, vielleicht der hektische Tonfall seiner Stimme, vielleicht seine verkrampfte Haltung, vielleicht, wie er mit dem rechten Daumen die Haut vom Zeigefinger abpulte, vielleicht der nervöse Blick, der immer wieder dem ihren auswich.
»Es tut mir leid für die Frauen, das müssen Sie mir glauben, aber ich kann nichts ändern. Ich bin genauso erschüttert wie Sie. Und jetzt ist die Mordkommission gefragt.«
»Und was tun Sie?«
»Mein Gott, Sie wissen doch, was unser Verantwortungsbereich ist – organisiertes Verbrechen, Menschenhandel, Waffenschmuggel . . .«
»Gut, dann tun Sie Ihre Arbeit; aber richtig. Denn was passiert ist, fällt unter anderem in Ihren Bereich. Nicht allein die Mordkommission ist zuständig, auch Ihre Abteilung. Entweder wir arbeiten Hand in Hand, oder wir beharren weiterhin auf unseren alteingefahrenen Strukturen, indem jeder nur seinen Zuständigkeitsbereich bearbeitet.«
»Zusammenarbeit war noch nie die Stärke . . .«, sagte Schnell mit säuerlicher Miene.
»Ach, hören Sie doch auf damit! Wenn wir so anfangen, wird es nie eine wirkliche Zusammenarbeit geben . . . Es wäre gut, wenn wir bis morgen die Namen derjenigen wüßten, die bei der Besprechung anwesend waren.«
»Ich werde mein Bestes tun, Hauptkommissarin Durant«, sagte Schnell pikiert. »Und wenn es sonst nichts weiter gibt . . . Ich möchte nämlich gern Feierabend machen.«
Julia Durant erhob sich, nickte und sagte mit friedlicher Stimme: »Ich auch. Auf Wiedersehen.«
Sie ging zu ihrem Wagen, der Regen hatte aufgehört, der Asphalt dampfte. Sie stieg ein, zündete sich eine Zigarette an, startete den Motor. Der Kerl hat Dreck am Stecken, dachte sie, während sie den Corsa aus der Parklücke lenkte.
Montag, 19.30 Uhr
Das Telefon klingelte, als Hellmer gerade aus der Dusche kam. Er war nackt, nahm den Hörer ab, meldete sich.
»Hallo, hier ist Nadine. Ich hoffe, ich störe nicht.«
»Nadine«, sagte er. »Ich hätte alles erwartet, nur nicht, daß du anrufst. Was gibt’s?«
»Ich wollte mich einfach nur mal melden. Ich habe mich gestern im Lokal nicht sonderlich gut benommen, und ich wollte mich entschuldigen dafür.«
»Wofür denn? Es gibt nichts, wofür du dich entschuldigen müßtest. Es tut mir leid, wie ich dich behandelt habe.«
»Wann, gestern?«
»Nein, vorher. Aber . . . nein, wenn ich das jetzt sage, meinst du nur wieder, ich sei egoistisch . . .«
»Komm, sag’s, bitte.«
»Gut, wenn du unbedingt willst. Nadine, seit ich dich kenne, warst du immer in meinem Kopf und in meinem Herzen. Wann immer ich eine andere Frau gesehen habe, dachte ich an dich und daran, daß keine andere mit dir mitkommt. Ich habe verdammt viel gelitten, ich habe angefangenzu trinken, um zu vergessen, aber ich konnte nicht. Ich hätte viele Male die Gelegenheit gehabt, mit einer anderen Frau . . . Du weißt schon, was ich meine, aber ich konnte nicht. Du warst und bist allgegenwärtig. Ich würde eher ins Kloster gehen als eine andere Frau anfassen . . .«
»Und das nach fast zwei Jahren?«
»Ja, nach fast zwei Jahren. Manchmal habe ich das Gefühl, ich sterbe. Oder besser gesagt, ich möchte sterben. Denn das Leben ergibt für mich keinen Sinn mehr. Irgendwie bin ich hilflos. Aber ich möchte nicht
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