Das achte Opfer
fast die halbe Nacht das Hirn zermartert, woher ich die Stimme kenne, aber ich bin ums Verrecken nicht draufgekommen. Der Mist ist, daß er mich immer nur unter meiner Handynummer anruft, so daß wir keine Aufzeichnungen machen können.«
»Meinst du, er gehört der Organisation an, ich meine, hat er einen Decknamen?«
»Glaube ich eher nicht. Er scheint außerhalb der Organisation zu stehen, ist aber dennoch informiert über gewisse Aktivitäten …«
»Moment mal«, warf Hellmer ein, »angenommen, er gehört nicht direkt zur Organisation, weiß aber über deren Aktivitäten Bescheid, dann könnte es doch immerhin sein, daß er in einer Entscheiderposition sitzt, das heißt, er ist unter Umständen im juristischen Bereich tätig, aber nicht als Rechtsanwalt, sondern als Staatsanwalt, zum Beispiel. Ein gewiefter Staatsanwalt kann eine Menge Sachen decken oder verschleiern. Und dafür wird er geschmiert. Was hältst du von dieser Theorie?«
Julia Durant nippte an ihrem Kaffee, sah Hellmer von unten herauf an. »Sie macht mir angst. Wenn schon ein Staatsanwaltsich schmieren läßt, wo ist dann nach oben die Grenze?«
»Staatsanwalt Anders und Richter Degen werden doch bereits überprüft …«
»Genau das ist es. Wir überprüfen Leute, von denen man annehmen müßte, daß sie absolut gesetzestreu und integer sind. Ich hoffe nur, die Überprüfungen verlaufen negativ, damit ich nicht ganz den Glauben an das Gute im Menschen verliere.«
»Ich glaube, ich habe ihn schon verloren«, erwiderte Hellmer leise. »Leider.«
»Warum so pessimistisch?« fragte die Kommissarin.
»Schau dir doch diese ganze Scheiße an. Vor allem, wenn ich an die Kinder und Jugendlichen denke, die schon mit Waffen in die Schule gehen. Die Hunderttausenden von Jugendlichen, die keine Perspektive haben und sich irgendwelchen obskuren Gangs und Organisationen anschließen, in denen nichts anderes als Gewalt, Gewalt und nochmals Gewalt gepredigt wird. Und wer ist schuld? Die Gesellschaft, wir alle im Prinzip, die wir ihnen keine Chance geben. Ich habe gerade vor kurzem einen Artikel gelesen, daß die großen Unternehmen immer mehr Profit mit immer weniger Arbeitskräften machen. Wir haben über vier Millionen Arbeitslose, und ein Großteil von denen sind potentielle Auszubildende. Und mir soll keiner erzählen, wenn einer nur wirklich wollte, würde er auch eine Arbeits- oder Lehrstelle finden. So leicht ist das heutzutage nicht mehr. Und natürlich liegt auch viel Schuld bei den Eltern, die kaum noch Zeit für ihre Kinder haben, sie sich selbst überlassen und wo Freunde oder der Fernsehapparat oder der Computer die Erziehung übernehmen. Wir sind nicht dabei, eine degenerierte Gesellschaft zu werden, wir sind schon eine. Nur scheinen das die wenigstenbis jetzt begriffen zu haben. Schau doch bloß mal, wie viele Kinder und Jugendliche jedes Jahr spurlos verschwinden, ohne daß sie jemals wiedergefunden werden. Keiner weiß, wo sie landen, im Drogenmilieu, auf dem Strich, wo sie ihr häufig kurzes Leben zubringen, bis sie krepieren. Nein«, sagte er kopfschüttelnd, »ich habe keine Hoffnung mehr, daß sich irgendwann irgend etwas ändern wird. Im Gegenteil, ich fürchte, es wird noch viel schlimmer werden.«
Julia Durant antwortete nicht darauf, sie trank schweigend ihren Kaffee aus, stellte die leere Tasse zurück auf den Unterteller. Sie zündete sich eine Zigarette an, sah aus dem Fenster auf die Kaiserstraße.
»Was ist los? Habe ich dich erschreckt mit meinen pessimistischen Ausführungen?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, mir ist nur klargeworden, daß du recht hast, wir aber viel zu häufig die Augen vor der Realität verschließen. Ich wünschte auch, die Welt wäre ein klein wenig lebenswerter … Komm, laß uns zahlen und ein paar der Bordelle von Neuhaus aufsuchen. Hast du die Fotos von Matthäus, Neuhaus, Winzlow, Mondrian und Domberger dabei?«
»Hab ich«, sagte Hellmer, zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche und beglich die Rechnung für zwei Croissants mit Butter und Marmelade und eine Tasse Kaffee. Nachdem auch Julia Durant bezahlt hatte, standen sie auf und verließen das Café und traten hinaus auf die Kaiserstraße. Die Sonne bahnte sich mit Macht einen Weg durch die Wolken, der Wind war warm, drückende Schwüle machte sich einmal mehr breit.
»Hast du die Adressen der Häuser?« fragte Julia Durant.
»Ja, vier in der Elbestraße, drei in der Taunusstraße und eins in der Moselstraße.«
»Fangen wir in der
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