Das achte Opfer
und erhob sich, stellte sich ans Fenster und schaute hinunter auf die Mainzer Landstraße. Es hatte die ganze Nacht über geregnet, jetzt tröpfelte es nur noch, doch der Himmel war von dichten, grauen Wolken überzogen, die der Stadt ein düsteres, tristes Bild verliehen.
»Dann werden wir uns jetzt an die Arbeit machen. Haben Sie schon einen Rückflug gebucht?« fragte er, an Hübner gewandt.
Hübner schaute zur Uhr, zehn vor neun. »Ich werde die Maschine um halb zwölf nehmen. Wenn Sie mich nicht mehr brauchen, würde ich jetzt gern gehen. Sie wissen, wo Sie mich erreichen können, ich stehe Ihnen jederzeit zur Verfügung.« Er erhob sich, packte seine Tasche, nickte den Beamten zu und verließ mit einem kurzen Gruß das Büro. Nachdem die Tür sich hinter ihm geschlossen hatte, sagte Berger: »Ich habe mir mehr von der Sache versprochen,wenn ich ehrlich bin. Wir hätten genausogut noch einmal Schneider hinzuziehen können. Aber was soll’s, Hübner ist wieder weg, und wir stehen so blöd da wie zuvor. Cicero! Wie sollen wir herausfinden, wer den Decknamen Cicero trägt?! Es kommen Hunderte, wenn nicht gar Tausende von Leuten in Frage …«
»Nicht ganz«, warf Julia Durant ein. »Der Mann kennt mich, und zwar ziemlich gut. Also ist die Auswahl doch einigermaßen eingeschränkt.«
»Aber es sind immer noch zu viele. Sie sind doch inzwischen hier im Präsidium und zum Teil darüber hinaus bekannt wie ein bunter Hund.« Er setzte sich wieder, nahm einen Ordner und schlug ihn auf. »Hier«, sagte er, »die Fotos von der Trauerfeier. Vielleicht war Cicero ja auf der Beerdigung von Matthäus«, sagte er sarkastisch.
Julia Durant nahm die Bilder und sah sie sich zusammen mit Hellmer und Kullmer an. Nach einer Weile schüttelte sie den Kopf, lehnte sich zurück, gähnte, sagte dann: »Es sind zu viele Gesichter, vor allem sind viele der Fotos unscharf. Warten wir einfach die Beerdigung von Neuhaus heute nachmittag ab. Obgleich ich wenig Hoffnung habe.«
»Wenn ich etwas sagen dürfte«, meldete sich einer der Beamten zu Wort. »Wo gerade von Neuhaus gesprochen wird, wir haben herausgefunden, daß er allein in Frankfurt sechzehn Häuser besitzt, und raten Sie mal, wofür acht davon benutzt werden?«
»Na, als was?« fragte Kullmer gelangweilt.
»Als Bordelle. Er hat die Häuser verpachtet, und die Pächter gehören nicht gerade zu den Personen, zu denen unsereins unbedingt Kontakt haben möchte. Es sind sämtlich Typen aus der Halbwelt, die ein ziemlich strenges Regiment führen.«
»Was für Mädchen arbeiten dort?« fragte Julia Durant.
»Deutsche?«
»Zum geringsten Teil. Die meisten Prostituierten kommen aus dem Ostblock, Russinnen, Polinnen usw. Sie zahlen zweihundertfünfzig Mark pro Tag und Zimmer, und man kann sich unschwer vorstellen, wieviel ihnen am Ende des Monats übrigbleibt von dem, was sie sich erbumst haben.
Die meisten von denen haben nichts außer ihrer Unterwäsche und vielleicht ein paar Jeans und eine Bluse. Und ich möchte wetten, kaum eine von ihnen ist auf legalem Weg nach Deutschland gekommen. Sie sind, wie die meisten, mit fadenscheinigen Versprechungen hergelockt worden und kommen jetzt nicht mehr weg von hier.«
»Zuhälter?«
»Offiziell nicht, aber wir wissen alle, daß die Mädels zusätzlich zu ihrer Miete noch Abgaben zahlen. Nur an wen?«
»Dann sollten wir vielleicht einmal diese Quelle anzapfen«, sagte Hellmer. »Am besten während des Tages, wenn noch nicht soviel Betrieb ist.«
»Einverstanden«, sagte Julia Durant und erhob sich. »Aber erst werde ich etwas frühstücken gehen, ich habe nämlich noch keinen Bissen gegessen. Kommt jemand mit?«
»Ich«, sagte Hellmer und stand ebenfalls auf.
»Wir sind so gegen Mittag zurück«, sagte die Kommissarin, während sie ihre Handtasche nahm und zusammen mit Hellmer das Büro verließ. Es hatte aufgehört zu regnen, der Himmel begann an einigen Stellen Lücken zu zeigen. Prompt machte sich Schwüle breit. Sie fuhren zu einem Café in der Kaiserstraße.
Mittwoch, 9.30 Uhr
»Was mich wundert«, sagte Hellmer, während er in ein Croissant biß, »daß unser Killer noch nicht zugeschlagen hat. Angekündigt hat er den Mord ja schon, zumindest behauptet das unser schlaues Hirn aus München.«
»Vielleicht hat er ja, und wir wissen nur noch nichts davon. Viel mehr würde mich interessieren, wer unser Informant ist. Auch wenn er seine Stimme verstellt, ich werde einfach das Gefühl nicht los, ihn zu kennen. Ich habe mir
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