Das Achtsamkeits Buch
»Metta-Meditation« (siehe Übung »Liebende Güte-Meditation«, S. 119) .
Tun und Sein
»Wer ist dieser Mann?«, wird in einem Politiker-Portrait in einer deutschen Wochenzeitung gefragt. Dabei geht es auch um dessen innere Haltung. »… er ist ein Macher« charakterisiert ihn ein Kollege. »Und das kann durchaus eine Haltung sein. In Zeiten wie diesen«; schreibt die Kommentatorin über diesen Ausdruck des Zeitgeists (Rückert, 2009).
Hast Du dein Zimmer aufgeräumt? Hast Du deine Hausaufgaben gemacht? Welchen Abschluss haben Sie erworben? Was machen Sie im Urlaub? Die westliche Welt ist vom »Machen« durchdrungen. »Was machst du?«, fragt auch in Loriots Parodiedie Ehefrau ihren Ehemann. Mit seiner Antwort – »einfach sitzen« – kann sie nichts anfangen und bohrt so lange nach, bis er seine Ruhe verliert. Wir werden für unser Tun gelobt, für Nichts-Tun bestraft. Wir sind nicht nur von früh bis spät beschäftigt, sondern definieren uns oft über unser Tun und über unsere Arbeit.
Diesem Modus des Tuns steht als Gegenpol ein Modus des Seins gegenüber. In der Praxis der Achtsamkeit, speziell in formalen Sitzmeditationen, wird dieses Sein betont und geübt. Wie schwer es allerdings ist, aus dem Hamsterrad des Tuns auszusteigen, weiß wahrscheinlich jeder, der sich im westlichen Alltag vorgenommen hat, auch nur eine halbe Stunde täglich nichts zu tun, einfach nur zu sitzen, einfach nur zu sein. Still sitzen allein genügt nicht, um in diesen Sein-Modus umzuschalten. Still sitzen kann zwar helfen, zur inneren Ruhe zu kommen, es bedeutet aber nicht unbedingt, wirklich gegenwärtig zu sein. Dabei kann die Gewahrwerdung des Körpers helfen.
Den Unterschied können zwei Übungsanleitungen deutlich machen. Die erste Anleitung lautet, so schnell wie möglich von eins bis hundert zu zählen. Die zweite Anleitung heißt: Beobachten Sie Ihren Atem und zählen Sie Ihre Atemzüge. Im ersten Fall sind wir rein mental mit der Tätigkeit des Zählens beschäftigt, ein »Zähl-Automat« ist eingeschaltet. Im zweiten Fall hält uns der Fokus der Atembeobachtung auch bei unserem Körper und in der Gegenwart. Der »Innere Beobachter« erwacht, und mit ihm bewusstes Gewahrsein.
So wie bewegungsloses Sitzen nicht mit dem Sein-Modus gleichzusetzen ist, so sind Bewegungen, Handlungen, alle Tätigkeiten und sogar Arbeit nicht unbedingt Ausdruck eines Modus des Tuns. Auch sie können im Sein-Modus ausgeführt werden. Wenn wir zum Beispiel achtsam gehen und der innere Beobachter wach ist, wenn wir unsere Bewegungen, den Kontakt mit dem Boden, die Umgebung, das Gegenwärtige wahrnehmen, wird unser Gehen zu einer Meditation, zur Geh-Meditation .Wir gehen dabei nicht, um ein entferntes Ziel zu erreichen, wir kommen bei jedem Schritt an, in der Gegenwart, in unserem Körper, in unserem Bewusstsein. »Wir kommen bei jedem Schritt nach Hause«, sagt Thich Nhat Hanh.
Wir können in Achtsamkeit sitzen, wir können achtsam stehen und gehen. Wir können alles, was wir tun, in Achtsamkeit verrichten. Wir können am Morgen achtsam die Zähne putzen, das Frühstück achtsam genießen, im Auto achtsam den Zündschlüssel umdrehen und beim Hochstarten des Computers den Atem beobachten.
Achtsamkeit ist somit der Gegenpol zum automatischen Funktionieren und Handeln im Alltagsbewusstsein. Achtsamkeit ist ein Weg, in Handlungen Bewusstheit zu bringen. Umgekehrt kann auch jede Tätigkeit dazu genutzt werden, einzelne Komponenten der Achtsamkeit zu üben.
Auch Sprechen gehört wesentlich zu unserem Tun. Worte können ebenso wie Taten für uns selbst und andere heilsam, aber auch belastend und destruktiv sein. Zum Umgang mit Wut gibt Thich Nhat Hanh klare Empfehlungen (2007).
Im September 2001, zwei Wochen nach dem Anschlag auf das World Trade Center, spricht er in New York über seine eigene Wut:
»Meine lieben Freunde, ich möchte Euch erzählen, wie ich übe, wenn ich wütend werde. Während des Krieges in Vietnam gab es viel Ungerechtigkeit und viele tausend Menschen wurden getötet, darunter auch Freunde und Schüler von mir. Eines Tages hörte ich, dass die Stadt Ben Tre mit dreihunderttausend Einwohnern von der amerikanischen Luftwaffe bombardiert worden war. Dies geschah, weil einige Guerillakämpfer in die Stadt kamen, um amerikanische Flugzeuge zu beschießen. Die Kämpfer hatten aber keinen Erfolg und verließen gleich wieder die Stadt. Diese wurde jedoch zerstört. Jener Militär, der dafür verantwortlich war,
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