Das Achtsamkeits Buch
bekam, nannte sie diesen »Die Ungeliebte«, was einem noch tieferen Verständnis dieses Teils entsprach. Das Wissen um diesen empfindsamen Teil und ihr Verständnis dafür, wann und wie dieser durch ihre Vorgesetzte ausgelöst wird, half Frau B., in künftigen Situationen darauf noch mehr zu achten. Sie konnte nun leichter den Zustand der »Amazone« daran erkennen, dass sie sich kämpferisch-abwertend fühlte. Die mit diesem Zustand einhergehenden körperlichen Signale – der einseitig heruntergezogene Mundwinkel, hochgezogene Schultern und Luftanhalten – wurden für sie zu einem Frühwarnsystem. Das Wissen, für welche Interessen der kämpferische Anteil sich einsetzen möchte, half ihr dabei, ihre Wünsche und Erwartungen klarer auszudrücken. Sie konnte auch die »Ungeliebte« deutlicher wahrnehmen und das damit einhergehende Bedürfnis, ernst genommenund anerkannt zu werden. Achtsames Innehalten in solchen entscheidenden Momenten half ihr, nicht nur die sachlichen Inhalte, sondern vor allem auch ihre Bedürfnisse stärker zu vertreten. Auch »Die Nette« war zufriedener, weil Frau B.’s Haltung und Tonfall freundlich und nicht mehr vorwurfsvoll und abwertend waren.
Gute Absichten – extreme Rollen
Beschützer haben gute Absichten, auch wenn ihr Verhalten manchmal übertrieben oder gar extrem ist. Die heftigen, unkontrollierten Reaktionen von Beschützerteilen können auf die Außenwelt abweisend, kämpferisch, verletzend oder bedrohlich wirken. Das veranlasst später wiederum andere Teile wie den »Kritiker«, den »Anspruchsvollen« oder den »Gutmensch«, sie innerlich abzuwerten. Und das vertieft, ohne beabsichtigtzu sein, unglücklicherweise oft das Leid von Verletzlichen oder auch von anderen Teilen, die sich abgelehnt fühlen. Diese Dynamik kann dann dazu beitragen, dass die innere Abspaltung von Verletzlichen stärker vollzogen und im System noch stärker verankert wird, z.B. indem andere Teile zur Alltagsbewältigung immer starrer werden. Das kann, neben äußeren Anforderungen, einer der Hintergründe dafür sein, wie Beschützer in immer extremere Rollen hineingeraten. Manchmal übertreiben sie ihre sonst sinnvollen Tätigkeiten: Sie können beispielsweise ständig im Einsatz sein, ohne Unterlass arbeiten, sich keine Pause oder Auszeit gönnen, auf Hochtouren laufen und schließlich Gefahr laufen, an Burnout zu erkranken. Wenn man sich ihnen mit Neugier und Offenheit zuwendet, wird man immer wieder entdecken, wie sie sich bemühen, vor etwas Unangenehmen zu bewahren und verletzliche Teile zu beschützen. Diese Teile können sich entspannen und die Kontrolle aufgeben, wenn die eigene Sensibilität und Verletzlichkeit erlebt und berücksichtigt wird und sich Wege auftun, um heikle Situationen zufriedenstellend zu meistern.
Persönlichkeitsanteile von Frau Beate B., die in Auseinandersetzungen mit Ihrer Chefin in den Vordergrund treten
Selbstführung in der Beziehung zu anderen Menschen
Wie die bisherigen Beispiele zeigen, wird Selbstführung ganz besonders in Beziehungen und im Kontakt mit Menschen wichtig. Das spiegelt sich auch in den vielen, weit verbreiteten Methoden wider, die eine verbesserte Kommunikation in den Mittelpunkt stellen – wie etwa Eric Bernes Transaktionsanalyse (1975), Marshall Rosenbergs gewaltfreie Kommunikation (2007) oder Friedemann Schulz von Thuns Modell (2005) der vier Seiten einer Nachricht.
Auch Menschen, die für lange Zeit auf Meditationskursen gewesen sind und dort manchmal erstaunliche bewusstseinserweiternde Erfahrungen gemacht haben, berichten, dass esim Alltag und besonders im Zusammensein mit den Nächsten, unmöglich ist, diese Geistesklarheit aufrechtzuerhalten. Autoren wie John Welwood (2000) gehen sogar so weit, dass sie das Leben in einer Beziehung als einen der wesentlichsten Faktoren eines spirituellen Wachstumsweges beschreiben. Gerade die liebsten und wichtigsten Menschen, der Partner, die Kinder, die Eltern, berühren und verletzen unwillentlich immer wieder die wunden Punkte der eigenen Persönlichkeit, die noch nicht geheilt oder integriert sind.
Wenn Spannungen und immer wiederkehrende Verhaltensmuster das Zusammensein und das Zusammenleben belasten, ist alleinige Achtsamkeitspraxis unter Umständen zu langwierig und eine aktive Zuwendung zu den Teilen sinnvoll. Auch kann der Rückzug zur regelmäßigen Achtsamkeitsübung oder der Besuch von vom übrigen Leben abgetrennten Meditationskursen zum Vermeiden von
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