Das Achtsamkeits Buch
eigentlich geht, in diesem Fall um mehr Ruhe oder auch um das Vermeiden von bestimmten schlechten Erfahrungen. Mit dieser Einsicht lässt es sich dann etwas entspannter und selbstbestimmter mit dem Gefühl von Überlastung umgehen.
Die Perspektiven der Teile verstehen
Ein Modell von Persönlichkeitsanteilen macht deutlich, wie uns einerseits frühe Lebenserfahrungen prägen und wie andererseits auch der psychotherapeutische Laie zu tieferen Schichten seiner Persönlichkeit vordringen kann. Und gerade für einen Menschen, der sich für einen Weg der Achtsamkeit entscheidet, ist es sehr hilfreich, zu wissen, was ihm in der eigenen Psyche begegnen kann, welchen Dingen er sich stellen sollte und welche Möglichkeiten es gibt, damit umzugehen.
Viele Ansätze in der Psychotherapie beruhen auf der Annahme, dass die Persönlichkeit von grundlegenden Sichtweisen geformt und gesteuert wird, die sich oft aufgrund von eindringlichen Erfahrungen in der Kindheit gebildet haben. Besonders prägend ist das emotionale Klima, in dem ein kleines Kind aufwächst.
Gerrit L., die oben erwähnte Zahntechnikerin, aufgewachsen im Hotel-Familienbetrieb ihrer Eltern, neigt dazu, in Familie, Partnerschaft oder im Beruf die eigenen Interessen zurückzustellen. Bei Entscheidungen und vielen alltäglichen Handlungen ist ihr Verhalten eher darauf ausgerichtet, es den Anderen recht zu machen. Das fühlt sich für sie so normal an, dass sie ihre Haltung gar nicht wahrnimmt oder in Frage stellt. Unbewusste Anschauungen, die in ihr vor langer Zeit entstanden waren, lauten: »Es ist nicht okay zu tun und zu sagen, was ich will!«, und »Ich bin nicht wichtig!«. Mit achtsamer Erforschung gelingt es ihr, zu entdecken, dass einer ihrer Persönlichkeitsanteile, nämlich die »Dienerin«, von der Angst beherrscht wird, die Zuneigung anderer zu verlieren, wenn sie sich nicht ganz zur Verfügung stellt.
In der Regel haben Menschen kaum Zugang zu den grundlegenden Anschauungen, von denen sie gesteuert werden, da diese sehr früh im Leben und ohne bewusste Reflexion entstanden sind. Diese Grundüberzeugungen sind ausgesprochen machtvoll und bestimmen weitgehend, wie die gegenwärtige Wirklichkeit interpretiert wird. Wie sie unser Denken und Handeln beeinflussen, geschieht so automatisch, dass diese Interpretationen unbewusst bleiben. Das ist für denGroßteil des täglichen Handelns auch sinnvoll, zumindest nicht von Nachteil. Problematisch wird dies, wenn sie in der gegenwärtigen Lebenssituation nicht mehr angemessen sind und die Handlungsmöglichkeiten zu sehr einschränken. Oft erzeugt dann ein gewisser Leidensdruck oder eine Unzufriedenheit den Wunsch, das eigene Handeln zu hinterfragen und zu verändern, wie in dem folgendem Beispiel.
Herr Manfred R. ist ein durchsetzungsstarker Mann mittleren Alters, der beruflich wie privat eher hart und unnahbar auftritt. Anderen gegenüber Einfühlungsvermögen zu zeigen und eigene Gefühle auszudrücken ist ihm fremd. Schaut er auf seine Kindheit, dann erinnert er sich, wie seine Angst, Vorsicht oder Trauer nur belächelt wurden. Oft fühlte er sich, insbesondere von seinem Vater, beim Ausdruck von zarteren Gefühlen gedemütigt. Diese frühen Demütigungen wirken als tiefe Überzeugung in zumindest einem Persönlichkeitsanteil deutlich weiter: Sein »Cooler« war sich ganz sicher: »Gefühle sind lächerlich.« Spätestens seit Beginn der Pubertät war es für ihn vollkommen selbstverständlich, unverwundbar und emotional kontrolliert in der Welt zu sein. Die Hintergründe seiner Gefühlskälte wurden ihm erst anlässlich einer Beratung bewusst, die er wegen einer Ehekrise aufgesucht hatte.
Herr R. hatte, bevor er sich entschloss, professionelle Unterstützung zu nutzen, immer wieder versucht, auf seine Ehefrau einfühlsamer einzugehen. Dies war ihm jedoch so fremd, dass er über rational-kühles Hinterfragen oder Ratschläge Geben nicht hinauskam. Das führte bei seiner Frau zu noch mehr Unzufriedenheit mit seinem »abgebrühten Besserwissen«.
Dass man sich nicht so einfach ändern kann, liegt vor allem daran, dass Persönlichkeitsanteile eine lange Geschichte, vielfältige Erfahrungen und gute Gründe haben, zu empfinden und zu reagieren, wie sie es tun. Erst wenn man die Hintergründe besser versteht, warum ein Teil auf eine bestimmte Art und Weise denkt und handelt, und sich seiner Perspektive bewussterwird, kann man damit verständnisvoller und bewusster umgehen. Man schafft damit
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