Das Achtsamkeits Buch
die ihn und seine innere Verzweiflung wirklich kennen und ihn damit annehmen. Achtsamkeit hilft, diese Bereiche freundlich und gelassen aufzudecken und in aller Tiefe zu verstehen.
Ein wichtiges Element achtsamer Zusammenarbeit könnte also dahingehend verstanden werden, dass der Therapeut viel von seiner Autorität abgibt und ein »egalitäres« Verhältnis pflegt (Marlatt et al., 2008, S. 107). Er weiß genauso wenig über die genaue Richtung des Weges wie sein Klient. Er ist stattdessen anteilnehmend neugierig. Seine Rolle entspricht eher der eines Experten für Haltung, Prozess und Technik. Er kann einen gedeihlichen Rahmen herstellen und weiß viel darüber, wie man mit sich umgehen kann, damit Wachstum und Entwicklung möglich werden. Wohin die Reise geht, weiß er nicht.
Qualitäten einer achtsamen Beziehung
In der Hakomi-Methode wird der Zustand des Therapeuten in Anlehnung an das Konzept der Achtsamkeit »loving presence« (liebevolle Präsenz) genannt. Dieser Zustand ist durch folgende Qualitäten gekennzeichnet: (1) wache Gegenwärtigkeit, (2) gleichbleibende Akzeptanz und (3) Allparteilichkeit allen auftretenden psychischen Elementen gegenüber, (4) Langsamkeit, Sorgfalt, Genauigkeit, (5) Fokus auf die Selbstorganisation der Innenwelt im gegenwärtigen Moment – nicht auf die Lösung der Probleme, (6) die ständige Unterstützung eines »Inneren Beobachters« des Klienten, (7) anteilnehmende, mitfühlende Neugier, die ein »experimentelles Vorgehen« unterstützt (siehe »Forschen mit Hilfe von Experimenten«, S. 228) und (8) innere Zentriertheit und Gelassenheit.
Dieser Zustand wird durch laufende Übung und Praxis des achtsamen Vorgehens gewissermaßen »erlernt«. Mehr als auf dem Handeln, liegt das Augenmerk auf der Qualität der Präsenz, aus der sich bestimmte Vorgehensweisen zwingend ergeben, andere hingegen ausgeschlossen werden.
Insbesondere die Faktoren der präsenten Gegenwärtigkeit (Gehart & McCollum, 2008) und der Empathie (Shapiro & Izett, 2008) werden auch in der vorherrschenden akademischen Psychologie als Grundelemente jeglicher therapeutischer Beziehung diskutiert.
Dialogisches Vorgehen
Um einen derart gestalteten gemeinsamen Raum herzustellen, ist neben der achtsam-genauen Beobachtung des Klienten auch der verbale Austausch wichtig. Dies ist für Personen, die schon Erfahrungen mit dem Üben von Achtsamkeit haben, vielleicht die augenfälligste Neuerung. Sie sind gefragt, während der Innenschau – oft auch mit geschlossenen Augen – zu berichten, was genau sie wahrnehmen. So entsteht ein langsamer, tastender Dialog, in dem der Klient beschreibt, was er im Inneren bemerkt, was sich laufend ändert und entwickelt. DerTherapeut beobachtet die äußeren Zeichen des Erlebens und lauscht den Worten, um dann seinerseits immer wieder mit sparsamen und einfühlenden Worten mitzuteilen, was er vom gegenwärtigen Erleben des Klienten erfasst. Wenn er diese Aufgabe gut erfüllt, entsteht im Klienten ein intensives Gefühl des Begleitet- und Verstanden-Seins. Zusätzlich geben die Außenbeobachtung und das natürlicherweise höchstens annähernd »richtige« Verständnis des Beobachteten durch den Therapeuten dem Klienten die Gelegenheit, die gemeinsam betrachteten Phänomene immer feiner und genauer zu betrachten und zu benennen.
So lädt in einer körperpsychotherapeutischen Sitzung die nicht genau zutreffende Äußerung des Therapeuten, »da scheint sich gerade eine Traurigkeit einzustellen?«, den Klienten dazu ein, präziser zu werden: »es ist, … warten Sie, … nicht wirklich traurig, … es ist mehr wie eine angenehme Traurigkeit, so etwas wie Wehmut, aber auch erlösend.«
In achtsamkeitszentrierten Methoden wird die Leistung des Therapeuten, durch genaue und empathische Beobachtung tief mit dem Erleben des Klienten in Kontakt zu sein, oft als Fertigkeit gesehen, die man kultivieren und verfeinern kann. Sie hängt unmittelbar mit der Fähigkeit zusammen, selbst achtsam zu sein.
In einem Beispiel aus einer Sitzung mit K., einem Studenten der Informatik, lässt sich dieses Zusammenspiel nachvollziehen.
Herr K. ist mitten in der 11. Sitzung bei seiner Therapeutin. Seine Hauptprobleme sind Schlaflosigkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit verbunden mit suchtartigem Surfen im Internet. In der Sitzung untersucht er ein Element eines deutlicher werdenden »Dauerzustandes«, der ihn in seinem Leben plagt. Sein Fokus im Zustand der Achtsamkeit ist bei
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