Das Achtsamkeits Buch
Fakten, die bewusst erinnert und wiedergegeben werden können. Dazu gehören Erinnerungen an Episoden aus dem eigenen Leben und allgemeines Wissen über die Welt. Dieser Gedächtnis-Anteil wird besonders in jenen Therapieformen aktiviert, die den sprachlichen Austausch betonen, wie es bei narrativen Ansätzen der Fall ist.
Das implizite oder auch prozedurale Gedächtnis enthält Fertigkeiten, Erwartungen und Verhaltensweisen, die dem Bewusstsein nicht zugänglich sind und zum großen Teil auch nicht zugänglich gemacht werden können. Dazu gehören alle Automatiken des Handelns wie Fahrradfahren, die Sprache oder Beziehungsverhalten. Auch das emotionale Gedächtnis gilt bei den meisten Autoren als Teil des impliziten Gedächtnisses, da die Ursachen für Gefühle komplex und selten in einzelnen Episoden unseres Lebens begründet sind. Implizite Gedächtnisleistungen steuern das Gefühlsleben, aber auch andere Bereiche wie Bewegungen und innere Einstellungen. Psychotherapieformen, welche sich der automatischen Selbstorganisation der Klienten zuwenden, müssen Inhalte des impliziten Gedächtnisses erfahrbar und damit bewusst machen, um sie verändern zu können. Das implizite Gedächtnis ist einer direkten Befragung im Alltagsbewusstsein nicht zugänglich, Achtsamkeit ermöglicht diesen Zugang.
Die beiden Gedächtnisformen unterscheiden sich nicht nur in ihrer Funktion, sondern auch in ihrer neuroanatomischen Lokalisierung. Da das explizite Gedächtnis langsamer arbeitet und mehr Volumen braucht, werden bestimmte Gedächtnisinhalte von dort in das implizite Gedächtnis transferiert. Roth (2003) betont, dass insbesondere das emotionale Gedächtnis die gesamte Lebenserfahrung eines Menschen in verdichteter Form enthält.
Weiterführende Literatur: Kandel et al. (1995), Schacter & Scarry (2000), Roth (2003).
Achtsamkeit ist ein Mittel, diese Abläufe genauer zu untersuchen und geradezu detektivisch zu erforschen, welche Automatismen uns steuern und bestimmen. Da die Art, wie jedervon uns auf seine typische Weise nachdenkt und reflektiert, ebenfalls automatisch ist und vom impliziten Gedächtnis dirigiert wird, wird auch diese zum Gegenstand der Untersuchung. So repräsentiert die Achtsamkeit einen Gegenpol zum Reflektieren und zum gedanklichen Einordnen und Durchdenken, der möglicherweise noch große Bedeutung für die Psychotherapie gewinnen wird. Sie soll eine möglichst »reine« Beobachtung innerer Phänomene ermöglichen. Das heißt: kein Sprechen mehr »darüber«, kein »Durchkauen« – ein Ausdruck von Fritz Perls – und zunächst keine mentale Verarbeitung. Mit der »Achtsamkeits-Revolution« (Wallace, 2006) beginnt der Weg möglichst detaillierter, neutraler Beobachtung von Äußerungen des impliziten Gedächtnisses wie spontan auftretenden Empfindungen, Impulsen, Bewegungsabläufen, Gefühlen, Bildern und Gedanken. Diese werden sorgsam studiert, ohne sie zu interpretieren (siehe Glossar »Phänomenologie«, S. 258) .
Man kann dieses Vorgehen auch in Zusammenhang damit sehen, was in der Neurobiologie »top-down« und »bottom-up« Prozesse genannt wird. Ogden et al. (2006) nutzen diese Begriffe in der Therapie mit Achtsamkeit: »Bottom-up« soll einen Erlebens- und Erkenntnisweg bezeichnen, der mit dem Körper (bottom) beginnt, also mit Empfindungen und Gefühlen, und erst später Bilder, Erinnerungen und Formen der mentalen Verarbeitung (up) einschließt.
Ebenen der Selbstorganisation
Die achtsame Selbstbeobachtung beginnt oft auf der körperlichen Ebene. Wie im obigen Beispiel wird typischerweise über längere Zeit bei der detaillierten Wahrnehmung des körperlichen Erlebens verweilt. Häufig führt dieses Verweilen ganz von alleine zur Wahrnehmung von Gefühlen. Das Verweilen bei den Gefühlen, das Innehalten und Studieren ruft dann im nächsten Schritt Bilder, erlebte Szenen und andere Erinnerungen hervor, die in der Regel prägende Wirkung hatten.Sie geben Auskunft über frühe Lernprozesse, die häufig immer noch große Macht besitzen.
Es gibt somit in der Psychotherapie – weniger im Coaching – eine typische Vertiefungshierarchie , die der Therapeut unterstützen kann, um prägende, oftmals lang vergessene Zustände des Klienten einzuladen und zu erforschen. Im Fokus ist die weitgehend automatische Selbstorganisation des Menschen, die all diese Ebenen umfasst.
Hierzu ein Beispiel aus einer Paartherapie:
Alexander ist sich sicher, dass er fähig ist, seiner Frau Gabi offen
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