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Das Achtsamkeits Buch

Das Achtsamkeits Buch

Titel: Das Achtsamkeits Buch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Halko Weiss , Thomas Dietz
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medizinischen Vorbild wird angenommen, dass er auf Grund einer Diagnose weiß, welche Schritte der Klient unternehmen muss, was er lernen sollte und was es zu verbessern gilt. Sein Blick zielt somit auf das, was verändert werden muss oder nicht in Ordnung zu sein scheint. Das entspricht westlichem Denken und wird von den Gesundheitssystemen auch so gefordert.
    Achtsamkeit dagegen verlangt, in erster Linie die »Wirklichkeit« gründlicher zu erforschen und zu erkennen. Sie lehrt den Übenden, immer tiefer dem zu begegnen, was er tatsächlich in sich beobachten kann – und dann Frieden damit zu schließen. Das Know-how des Therapeuten beschränkt sich daher zunächst ausschließlich auf das Wie des erforschenden Vorgehens und der Erweiterung des Bewusstseins, nicht aber auf das Was der Inhalte und ihrer Bewältigung. Diese Art des Expertentums richtet sich darauf, wie ein Mensch sich selbst erkunden und einer größeren Wirklichkeit begegnen kann. Was dabei herauskommt, ist in der Einzigartigkeit der forschenden Person verborgen und kann nur durch sie selbst gefunden werden. Dafür kann nur der Klient selbst der Experte sein. Man könnte einen in Achtsamkeit arbeitenden Therapeutenalso eher als Lehrer für eine bestimmte Form des Vorgehens betrachten und als Assistenten bei der Erforschung von Innenwelten. Er wird sich hüten, Bilder, Vorstellungen oder Ideen davon zu haben, wie diese Person anders sein sollte. Das würde den Blick auf dessen Wirklichkeit verstellen und sie nicht anerkennen. Ein chinesischer Weiser hat es einmal so ausgedrückt: »Der große Weg ist nicht schwer für den, der keine Vorlieben hat.«
    Das Sehen und tiefere Verstehen führt zu Wertschätzung und Mitgefühl all den inneren Strukturen gegenüber, die eine Stimme finden können. Das zugehörige Erleben wird anerkannt, ihr Sinn wahrgenommen und ihr Beitrag gewürdigt. Das Teilemodell (siehe »Persönlichkeitsanteile«, S. 133) bietet dafür einen praktischen Ansatz: So kann zum Beispiel das Erleben eines »inneren Kindes« als eine aktivierte Struktur der Psyche verstanden werden, als ein »Teil« der Gesamtpersönlichkeit. Dazu ein Beispiel:
     
    Anton W., ein 61-jähriger Koch, ist wegen Kokainsucht in Behandlung. Nach einigen Monaten einer körperorientierten Therapie kommt er immer stärker mit einem Teil von sich in Kontakt, den er den »Schleimer« nennt. Dabei handelt es sich um einen extrem bedürftigen frühkindlichen Zustand, der »alles« tut, um von Menschen angenommen und umsorgt zu sein. Wie aus dem Namen, den er diesem Teil gegeben hatte, deutlich wird, ist ihm dieser Teil zuwider und er schämt sich für ihn. Man könnte auch sagen, er ist mit einem anderen Teil von sich identifiziert, der den »Schleimer« verachtet, verdrängt und bekämpft. In einer Sitzung, die sich später als Wendepunkt in seiner Therapie erweisen soll, kommt Herrn W. die ganze Dramatik dieses Kindes ins Bewusstsein, eines Kindes, das er selbst einmal gewesen ist und das immer noch spürbar und wirksam in ihm existiert.
    Dieses Kind hatte buchstäblich Jahre in Krankenhäusern verbracht, oftmals Tagereisen von seinen Eltern entfernt, so dass sie ihn nur an den Wochenenden besuchen konnten, und auch danur für eine Stunde oder zwei. Dabei ging es ihm sehr schlecht und er fühlte sich von seiner Krankheit zutiefst bedroht. Er hatte permanent in Zuständen der Qual gelebt, sich völlig verlassen und panisch verängstigt gefühlt. Diese vertiefte innere Sicht auf den Zustand und das Erleben des Kindes eröffnet Herrn W. eine herzzerreißende Phase des intensiven Mitgefühls für diesen Jungen. Er ändert seine Haltung dem »Schleimer« gegenüber in umwälzender Weise. In den folgenden Wochen und Monaten fängt Herr W. an, vollkommen anders mit sich umzugehen. Er beginnt, sich zum ersten Mal im Leben selbst gut zu behandeln und Freundschaften in neuer Weise zu pflegen. Dem verzweifelten kleinen Jungen in sich, den er nun zärtlich »Zwerg« nennt, wendet er sich regelmäßig zu, und versteht es, so für ihn zu sorgen, dass er eine große innere Entlastung erfährt.
     
    Dieses Beispiel verdeutlicht Folgendes: Wenn auf wirklich befriedigende Weise Schritte des Sehens, Verstehens und Mitgefühls gemacht werden, entsteht Frieden auch mit jenen Strukturen der Innenwelt, die vorher belastend waren. Dann wird auch klar, was ein Mensch eigentlich gebraucht hätte und was er für sein Wachstum heute noch braucht. Bei Herrn W. waren es unter anderem Menschen,

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