Das Aktmodell
Hüfte geht. Mit zwei flachen Schnallen oben am Rücken und weiteren an der Taille.
“Ich werde nach Tahiti durchbrennen, Delphine, und keinen Sonntagsspaziergang im Park machen.”
“Ihr solltet keine Aufmerksamkeit auf Euch ziehen, Mademoiselle. Alle eleganten Damen sind so gekleidet, sogar die halbseidenen Mädchen.”
Ich lächle über ihre Bemerkung. Für diese junge Näherin ist es am Wichtigsten, gut gekleidet zu sein. Egal aus welcher Gesellschaftsschicht man kommt.
“Ich bin keine Dame, Delphine, ich bin …” Ich beiße mir auf die Zunge.
Ich bin in einem Dilemma. Delphine ist viel zu taktvoll, um es auszusprechen. Aber ich tue es. Ich bin
une belle
, die Mätresse eines Künstlers. Ungeachtet aller gesellschaftlichen Konventionen, die ich gebrochen habe, verliebe ich mich gerade in Paul Borquet. Ich schiebe diese Gedanken beiseite, aber sie kommen immer wieder hoch. Ja, ich weiß, was als Nächstes geschieht. Min wird sich auf meine Kosten köstlich amüsieren. Meine Taille wird dicker, ein kleiner Bauch zeigt sich, und sehe ich da nicht kleine Falten um meine Augen? Wie lange bleibt mir noch, bevor ich mich komplett in mein altes Ich zurückverwandelt habe?
Ich lächle Delphine zu, die über meinen Bruch der weiblichen Kleiderordnung immer noch entsetzt ist, und werfe das Korsett in die Ecke. Stattdessen ziehe ich eine dunkelblaue Jacke und eine hochgeschlossene weiße Surah-Bluse an. Darüber trage ich einen blauen Satin-Gürtel.
Um meiner Garderobe den letzten Schliff zu geben, setze ich einen Hut auf und rücke ihn auf meiner hochgetürmten Frisur zurecht. Eine Feder des Huts hängt nach unten und streift meine Wangen. Das sieht ziemlich mondän aus.
Delphine steckt mir eine zusätzliche Haarnadel aus ihrem Nähkissen zu: ein wunderschöner Schmetterling aus transparenter Emaille.
Im Spiegel überprüfe ich meine sanft gerundete Silhouette. Meine Kurven werden auch ohne Korsett ausreichend betont. Zufrieden mit dem, was ich sehe, lächle ich mein Spiegelbild an. Auch wenn ich mich langsam zurückverwandle, bin ich doch immer noch ziemlich heiß.
Obwohl mein Aufenthalt hier im Haus in der Rue des Moulins ziemlich schrecklich war, hoffe ich doch, dass jetzt das Schlimmste hinter mir liegt. Bald werde ich mit dem Mann zusammen sein, den ich liebe. Von jetzt an kann es nur aufwärtsgehen!
Es ist Dienstagmorgen. Noch sehr früh.
Paul starrte auf die rauchig graue Flasche. Lange und durchdringend. Doch nichts änderte sich. Sie war leer.
Er quetschte den Korken zwischen Daumen und Zeigefinger und hielt ihn sich dann an die Nase, um daran zu riechen. Es roch stark und bitter. Ein scharfer Geruch drang in seine Nasenlöcher, aber das reichte nicht. Er schleuderte den Korken auf den Boden und fluchte frustriert, als ob die grüne Fee ihn verlassen hätte.
Es muss so aussehen, als ob ich betrunken sei. Das wird die Männer, die mich verfolgen, in die Irre führen.
Seit er sein Atelier in Montmartre verlassen hatte, waren sie ihm durch die windigen Straßen und Gassen von Paris gefolgt. Schließlich machte er einen kurzen Abstecher in eine Brasserie in Montparnasse, am linken Ufer der Seine.
Der Engländer hatte seine Begleiter auf ihn angesetzt, aber noch etwas anderes bereitete ihm Sorgen.
Seine Hände waren schwieliger geworden, mehr Linien zeichneten sein Gesicht, und sein Kinn wirkte eckiger. Seine Jugend, die ihm die schwarze Magie der Comtesse beschert hatte, schien langsam dahinzuschwinden. Jeden Tag etwas mehr.
Wieso? Er kannte die Antwort. Er konnte seine Liebe zu Autumn nicht mehr aufhalten.
Mais oui
, sie erregte ihn wie keine andere Frau zuvor.
Ihr hungriger Körper … ihre kaum zu befriedigende Gier … wie sie sich unter ihm aufbäumte … ihre Hüften bewegte und ihn tief in sich hineinschob … wie sein Schaft pulsierte, als sie ihn zum Höhepunkt brachte. Sie machte ihn wahnsinnig, und es schien ihm unmöglich, noch einmal eine andere Frau zu lieben.
Aber er wollte mehr von ihr als nur ihre körperlichen Reize. Sie hatte seine Neugierde geweckt, und er wollte ihr Wesen entdecken.
Sie hatte ein Geheimnis, und das wollte er herausfinden.
Er betete darum, dass er dazu noch Gelegenheit haben würde.
Am Tisch sitzend und auf seinen Freund Gauguin wartend, mit dem er hier verabredet war, begann Paul zu schwitzen. Seine Karriere war auf dem Höhepunkt, und seine Jugend war der Preis, den er dafür zahlen musste. Aber Autumn würde er niemals dafür opfern. Niemals. Er
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