Das Aktmodell
Mein Blick bleibt auf sein Gesicht geheftet. Ich kann nicht aufhören, ihn anzuschauen, als ob ich ihn das erste Mal sehen würde. Ich fühle mich wie ein Künstler, der versucht, den Lauf der Wolken einzufangen. Da ist eine Einzigartigkeit in ihm, die sich meinem Verständnis entzieht.
“Paul, du bist so schön wie ein Gott …”
“Wir müssen fliehen”, sagt er und überhört meine Bemerkung. “Der Duke plant ein makabres Ritual, um seine sexuelle Potenz zu stärken, und deshalb wird er am Altar der Dämonen ein Opfer bringen. Dazu muss er eine Nacht voller berauschender Gerüche, Klänge und Farben kreieren. Eine Alchemie der Sinne, um seinen Schwanz zu stimulieren, also die Opferung einer Jungfrau.”
Ich nicke. “Und ich bin die Jungfrau.”
“Ja. Er wird seine Männlichkeit als Prinz der Dunkelheit zelebrieren, indem er eine sexuelle Vereinigung mit einer …”
Ich schneide ihm das Wort ab. “Aber wieso dann diese schwarze Messe?”
“Diese Zeremonie ist eine Parodie auf das katholische Ritual, mit rückwärts gesprochenen Gebeten und dem umgedreht aufgehängten Kreuz. Aber so, wie sie von den Mitgliedern des Ordens des
Golden Dawn
gefeiert wird, ist sie weniger eine Möglichkeit zur Anbetung, sondern eher dafür da, ihrem Appetit auf Orgien nachzugehen. Dominanz. Gewalt. Grausamkeiten.”
“Wer ist dieser Abbé, den du erwähnt hast?”
“Abbé Bescanon ist ein abtrünniger Priester, der glaubt, dass Gott nackt angebetet werden soll, so wie es Adam damals tat, und dass der Teufel die Gläubigen mit Lust und Macht belohnt.”
Ich hole tief Luft. “Was hat er mit mir vor, Paul?”
“Nachdem der Duke dich gefickt hat, wird er ein Tuch mit seinem Samen auf dem Altar opfern.”
“Horch!” Ich greife nach seinem Arm. “Da kommt jemand.”
Paul stellt sich vor mich. Das laute Singen der Mönche übertönt nicht die Geräusche eines vorbeilaufenden Menschen, der dann anhält.
“Bleib hinter mir”, ordnet Paul an.
Wir hören ein Kichern. “Ihr könnt Eure süße Pflaume nicht vor mir verstecken, Mademoiselle”, murmelt eine weibliche Stimme. “Ich habe Euch gefunden.”
Madame Chapet steht zwischen zwei großen Statuen, quietscht vor Vergnügen, streckt ihre halb entblößten Brüste raus, leckt sich über die Lippen und wackelt erwartungsvoll mit den Hüften, bis sie uns sieht, in inniger Umarmung.
“
Merde alors
, das ist doch Monsieur Borquet!”, schreit sie. Bevor sie noch etwas anderes sagen kann, hat Paul einen Arm um ihre korpulente Taille geschlungen und hebt sie auf. Mit der anderen Hand verschließt er ihren Mund.
“Lauf, Autumn … schnell … durch den Salon. Die Tür mit der Medusamaske führt zu einem Geheimgang. Jetzt beeil dich!”
Ich höre, wie Madame Chapet nach Luft schnappt und sich wehrt. Ihre hängenden Brüste fallen Paul ins Gesicht, und angewidert schiebt er sie zur Seite. Mit einer roten Seidenkordel bindet er ihre Hände zusammen.
Meine Absätze klappern auf dem Parkett, als ich durch den Grand Salon laufe und nach der Tür suche.
Sieh dich nicht um.
Sieh dich nicht um.
Ich renne um mein Leben, und es läuft mir kalt den Rücken runter. Die Kapelle ist in ein goldenpinkfarbenes Spiel von Licht und Schatten getaucht, wie in einem alten Stummfilm.
Wo ist die Tür mit der Medusamaske?
Ich renne weiter, bis ich den monotonen Gesang höre. Aus einer dunklen Ecke beobachte ich eine Reihe von Männern in roten Roben und Tiermasken, die sich vor dem Altar versammelt haben. Einige masturbieren, und andere schwenken ihre Erektion wie Weihrauchfässer.
Nackte Frauen benetzen ihre Knospen und ihr Schamhaar mit rotem Wein und knien vor einem umgedrehten Kreuz. Sechs große schwarze Kerzen stehen auf einem Altar, und Weihrauchschwaden liegen in der Luft.
Eine Welle der Übelkeit schwappt durch meinen Magen, meine Zunge schwillt an, ich beiße die Zähne aufeinander.
Was für eine Bestie wurde in diesem Haus losgelassen?
Tränen steigen mir in die Augen. Ich bin in eine Schlangengrube von Teufelsanbetern geraten.
“Schnappt sie euch!”, schreit jemand.
Ich wirbele herum und spüre hitzige Blicke, die auf mich gerichtet sind. Sie haben mich entdeckt. Ich versuche zu rennen, aber zwei Männer in roten Gewändern greifen meine Arme und reißen sie fast aus den Gelenken.
“Lasst mich los!”, kreische ich. “Ihr seid ja alle verrückt.”
Ein Mann in einer roten Robe sagt: “Wir haben sie, Lord Bingham.”
Eine Kreatur in Schwarz taucht aus den
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