Das Aktmodell
Angelegenheit leider keine andere Wahl. Ihr werdet als Prostituierte erfasst und ins Gefängnishospital geschickt, wo Ihr von einem Arzt untersucht werdet und dann so lange dort bleibt, bis Euer Fall entschieden ist.”
Mit Schrecken sehe ich, dass er meine Akte unterschreibt, ohne sie vorher noch einmal gelesen zu haben.
“Keine Bewegung, Mademoiselle!”
Auf dem Dreifuß vor der Kamera sitzend, straffe ich meine Schultern, während der Fotograf eine neue Platte einlegt und die Blende einstellt.
Mein Verbrecherfoto. Ich brauche keinen Spiegel, um zu wissen, dass ich schrecklich aussehe. Wie ein gehäuteter Hase. Die letzten Reste von Schminke sind schon lange verschwunden, doch ein flammend roter Streifen von der Ohrfeige des Polizisten ziert meine eine Wange. Mein linkes Auge ist geschwollen, und ich schmecke getrocknetes Blut auf meiner Unterlippe. Mein glanzloses, schmutziges Haar ist zusammengebunden. Nur ein paar vereinzelte Strähnen hängen über meine Schulter.
Gedankenverloren balle ich eine Faust in meinem Schoß und beginne zu zittern. In dem Raum erwachen die Erinnerungen an die kalten, klammen Hände des Sergeants, wie er mich begrabschte und meine Brustwarzen kniff, als ich versuchte, mich aus seinem Griff zu befreien. Ein Kälteschauer läuft über meinen Rücken und macht mir bewusst, dass nur ein kleines Stückchen zerrissenen Tülls mich vor der völligen Nacktheit meines Oberkörpers bewahrt. Was würde ich nicht für eine Sicherheitsnadel geben, aber ich bezweifle, dass die schon erfunden sind. Stattdessen halte ich mein Mieder mit einem Faden zusammen, den ich durch die Knopflöcher gezogen habe.
“
Alors
, Mademoiselle, Ihr habt Euch bewegt”, beschwert sich der Fotograf und unterbricht meine Gedanken. “Jetzt müssen wir wieder von vorn anfangen.” Mit einem tiefen Seufzer entfernt er die große Platte von der Kamera, wirft sie zur Seite und lädt erneut. “Bewegt Euch nicht!”, befiehlt er.
“Pardon, Monsieur, aber ich bin sehr müde.”
Mein Zeitgefühl habe ich schon vor Stunden verloren. Oder vor Tagen? Ich weiß es nicht. Seitdem ich hier auf der Wache bin, wurde ich von einem Raum in den nächsten geschoben, habe nur einen Schluck Wasser bekommen, und dieser schreckliche Sergeant hörte nie auf, Befehle zu brüllen.
Was wohl mit Lillie passiert ist? Zum Glück wurden wir getrennt und nach unserer Ankunft in unterschiedliche Gruppen gebracht.
Ich schaue auf die Gaslampen an den grauen Wänden. Das Licht flackert kaum, aber ein sanfter gelber Lichtschein kommt durch das geöffnete Fenster. Es muss früher Morgen sein, und ich wünschte, ich könnte mich hinlegen.
Wieso dauert das so lange mit dem Foto?
Der Fotograf ist unter dem schweren Tuch der Kamera verschwunden, und nur seine dünnen Beine schauen hervor. Ich muss die Luft anhalten, um ein Grinsen zu unterdrücken. Ich wage nicht daran zu denken, dass dieses ganze Abenteuer damit begann, dass ich mein Porträt von einem alten Künstler malen lassen wollte.
“Ihr seid zu angespannt, Mademoiselle”, sagt der Fotograf genervt. “So kann ich kein schönes Foto machen.” Er kommt unter dem Tuch hervor und studiert mich interessiert. Er wedelt mit den Armen in der Luft herum und bewegt den Kopf ruckartig von einer Seite zur anderen, als ob er sich mein Bild einprägen wollte.
“Wenn ich nur mehr Zeit hätte, Mademoiselle. Dann könnte ich wunderbare Aufnahmen für Postkarten von Euch machen.
Paris belles
werden sie genannt. Die Schönen von Paris.” Er lächelt mich an und drückt auf den Auslöser.
Sein geheimnisvolles Lächeln macht mich nachdenklich. Wird mein Verbrecherfoto demnächst auf einer französischen Postkarte auf dem Schwarzmarkt zu finden sein?
“
Alors, femme de vie!
Beeilt Euch, Hure!”
Ich drehe mich um. Es ist der Sergeant. Einen Moment lang habe ich Angst. Grinsend stößt er mich mit einem Schlagstock in den Rücken und schiebt mich über den langen Flur. Draußen schlurfen bereits einige andere Frauen zu einem wartenden Polizeiwagen.
“Die Kutsche Eurer Hoheit wartet bereits”, grinst er sarkastisch und stiert mich dabei so gierig an, dass ich seine kalten Hände fast wieder auf mir fühle. In seinen Augen spiegeln sich Hunger und Lust. Ich drehe mich um und beiße mir auf die Zunge, damit ich ihm nicht ins Gesicht schreie, was für eine widerliche Kreatur er ist. Wenn ich könnte, würde ich ihm einen gezielten Tritt in die Eier versetzen und dann so fest zudrücken, dass er zu
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