Das Aktmodell
verlässt den Raum und schließt die Tür hinter sich.
Ich will sichergehen, dass wir wirklich allein sind, und schaue mich in dem Raum um. Der einfache Holzboden knackt ein wenig. Ein großes Kruzifix hängt an der Wand. Braun und glänzend. Es gibt in diesem Raum keine Möbelstücke außer diesem Beichtstuhl, einer Bank, auf die ich mich knien kann, und einem hölzernen Stuhl mit hoher Lehne für den Priester.
Ich schaue zur Decke hoch und versuche den Mut aufzubringen, ihm meine Geschichte zu erzählen. Das einzig natürliche Licht dringt durch ein schmales Fenster, das sich hoch an der äußeren Wand des Gebäudes befindet. Ein farbiges Mosaik, wie man es in Kirchenfenstern findet, färbt das Sonnenlicht in den verschiedenen Schattierungen von Rosa und Azurblau. Dadurch erhält das Zimmer eine ruhige und angenehme Atmosphäre. Das Geräusch des sich im Schloss drehenden Schlüssels holt mich schlagartig in die Wirklichkeit zurück. Ich bin im Gefängnis. Und es gibt keinen Weg hier raus.
“Seid gesegnet, mein Kind. Erzählt mir, was habt Ihr getan, um Gott so zu missfallen, dass Ihr hier in St. Lazare gelandet seid?”, fragt der Priester und fährt dabei mit seinen Händen durch die Taschen seiner Robe. Er hält den Kopf weiterhin gesenkt und wirkt ein wenig nervös.
“Es handelt sich um einen schrecklichen Irrtum, Vater. Ich bin keine Prostituierte. Ich weiß nicht, ob Ihr mir Glauben schenken werdet, aber ich bin aus …”
“Gott ist es egal, wo Ihr herkommt, Mademoiselle”, sagt der Priester und erhebt seine Stimme. Dann tut er etwas Seltsames. Er legt seine Hände wie zum Gebet zusammen und hält sie vor sein Gesicht, als er leise zu der abgeschlossenen Tür geht. Er legt sein Ohr an das alte Holz und lauscht. Ein Muskel in meinem Auge zuckt. Irgendetwas an diesen breiten Schultern kommt mir bekannt vor, und sein bestimmter Gang weckt einen angenehmen Schmerz in mir. Gedanken an seinen muskulösen Körper über meinem schießen mir durch den Kopf, an seinen großen Schwanz, der sich heftig in mir bewegt und mich zum Höhepunkt bringt …
… und ist das nicht der Geruch von Absinth?
“Paul, bist du das?”, flüstere ich. Bevor ich mich zusammenreißen kann, schießt ein angenehmes Gefühl durch meinen Körper direkt in meine Muschi, lässt mich verletzlich werden in meinem Verlangen nach ihm, und das überrascht mich mehr, als ich mir eingestehen will.
“
Mais oui, mon amour.”
Er hebt sein schönes Gesicht und lächelt mich an. Dann verschwindet das Lächeln. “Es gilt, keine Zeit zu verlieren. Du musst gut zuhören und genau tun, was ich dir sage, ansonsten verlässt du St. Lazare kalt und starr, unter dem letzten schwarzen Schleier liegend.”
“Wie hast du es überhaupt geschafft, dich hier einzuschleichen?”, frage ich neugierig.
“Ein paar Francs in die Hand der Wärterin, dazu eine Geschichte über meine kranke Schwester, die in St. Lazare sitzt und dringend Geld braucht, und voilà – hier bin ich.”
“Als Priester verkleidet?”
Er grinst. “Ich habe mir eine Robe des hiesigen Priesters ausgeliehen und ihn mit der Geschichte weggelockt, dass eine Sterbende dringend die letzte Ölung benötigt.”
Ich verspüre das dringende Verlangen, ihn zu berühren um mich davon zu überzeugen, dass er wirklich echt ist. Meine Finger brennen, und mein Beckenbodenmuskel zieht sich zusammen. “Kannst du mich hier herausholen?”
Paul schüttelt den Kopf. “
No, ma chérie.
Leider nicht. Dein Fall ist noch nicht verhandelt worden, und nur die vom Magistrat persönlich unterschriebenen Entlassungspapiere können dich aus St. Lazare befreien.”
“Kannst du solche Papiere nicht für mich besorgen?”
“Nein, aber ich kenne jemanden, der es kann, und sie hat auch schon zugesagt, uns zu helfen.”
“Wie heißt sie?”
“Madame Chapet.”
“Wer ist sie? Die Schulleiterin eines Internats für schwer erziehbare Mädchen?” Ich versuche zu scherzen, aber eigentlich ist mir überhaupt nicht nach Lachen zumute. Wer immer auch Madame Chapet ist, sie scheint für mich der einzige Ausweg aus diesem Höllenschlund zu sein.
“
La Madame
ist so etwas wie
une architricline.”
“Eine was?” Ich runzle die Stirn. Die Bedeutung dieses Wortes ist mir nicht bekannt. Paul antwortet nicht, stattdessen prüft er noch einmal an der Tür, ob auch wirklich niemand lauscht. Er scheint besorgt zu sein. Seine Unsicherheit alarmiert mich und macht mir bewusst, dass ich wahrscheinlich doch in
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