Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
aggressiv und selbstbewusst aus der Ecke. Joe Scheidmantel, der sich zwischenzeitlich wieder von seiner Verblüffung ob der Todesnachricht erholt hatte, war in seine alten Verhaltensweisen zurückverfallen.
Ein weiterer Streifenpolizist versuchte gerade, die Personalien der Versammelten aufzunehmen. Hektisches Gemurmel war zu vernehmen, aber über allem brauste die Stimme des Seewolfs, der sich gar nicht mehr einkriegen wollte.
»Es gibt noch eine Gerechtigkeit auf dieser Welt«, konnte man ihn tönen hören, während seine klein gewachsene Freundin vergeblich versuchte, ihn zu besänftigen. »Ich geb jetzt jede Woche hundert Euro extra in unnern Klingelbeutel in der Kirch«, lamentierte er für jeden, der es hören wollte, quer durch den Raum.
Plötzlich erhob sich ein anderer, weit schmächtiger gebauter Mann vom Tisch und packte Scheidmantel am Kragen seines blauen Polohemdes. »Du hältst jetzt sofort die Schnauze, du verdammter Idiot!«, tobte er. »Wenn du jetzt nicht sofort deinen Rand hältst, dann sind wir von jetzt an geschiedene Leute. Verstanden? Jeder hier hat dein Gemecker satt, ich inklusive. Das geht jetzt um Mord und nicht um eine deiner blödsinnigen Schlägereien, du Schwachkopf!«
»Ja, aber …«, wollte Joe Scheidmantel noch kurz aufbegehren, wurde aber gleich wieder unterbrochen.
» HALT DIE KLAPPE !«, schleuderte ihm der andere ins Gesicht, während er den Kragen des Polohemdes bis unter Scheidmantels Nase dehnte, woraufhin sich dieser tatsächlich auf seinen Allerwertesten setzte und schwieg. Er besaß zwar immer noch eine frappierende Ähnlichkeit mit King Kong, aber immerhin war er endlich still.
Kommissar Haderlein hatte die Lage sofort erkannt. Nachdem er sich bei der Streife ausgewiesen hatte, winkte er die beiden Streithähne zu sich.
»So, meine Herren«, begann er in lockerem Ton, »und jetzt erzählen Sie mir mal, was Ihrer Meinung nach so erfreulich am Ableben des geliebten Mitmenschen Rast ist.«
Joe Scheidmantel hatte noch nicht mal den Mund geöffnet, als sich schon die Hand seines Freundes Helmreich darüberlegte.
»Ich bin Fritz Helmreich, Herr Kommissar. Ich glaube, ich muss Ihnen erst mal die Situation hier erklären«, sagte er, während er noch immer seinen Kumpel im Auge behielt.
»Na, dann schießen Sie mal los, junger Mann«, lud ihn Haderlein ein und machte es sich auf einem Stuhl gemütlich.
*
Lagerfeld hatte derweil seinen Honda bereits am Zaun der Zeltstadt der Nürnberger Angelvereinigung geparkt. Der Verein hatte sein Domizil an einem Baggersee am Main mit einer nicht unbeträchtlichen Infrastruktur wie Strom, Parkplätzen und Gemeinschaftsgebäuden errichtet. Alles natürlich ohne offizielle Genehmigung, also illegal. Überall am See warnten zahlreiche Schilder den Herannahenden, dass hier Zelten, Baden und vor allem natürlich Bootfahren strengstens untersagt waren. Wahrscheinlich war deshalb auch das gesamte Gewässer mit Stacheldraht abgesichert. Von nicht wenigen wurden sogar Tretminen vermutet, und Selbstschussanlagen waren mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit schon in Planung. Dieser See war besser gesichert als Fort Knox oder die Verhörzimmer auf Guantanamo Bay.
Seitens der Ämter wollte sich offensichtlich niemand die Finger an dieser bissigen Anglergemeinde verbrennen, denn zu ihr zählten schließlich auch Juristen, Verbindungsträger und Wohlbetuchte. Ein heraufbeschworener Konflikt konnte für einen Beamten der mittleren Laufbahn ganz böse auf Lebenszeit in der Führerscheinstelle enden.
Als Lagerfeld seinem Auto entstieg, bekam er sogleich die örtliche Lebenseinstellung zu spüren. Selbst als der Kommissar seine Marke vorzeigte, wurde ihm nicht gestattet, auf dem Gelände zu parken. Als er dann die zweihundert Meter vom Parkplatz wieder zurücktrabte, stellte man ihm eine Art Überwacher an die Seite, der jedem Ausbilder der französischen Fremdenlegion zur Ehre gereicht hätte. Er war ein eher schweigsamer Kamerad in geflecktem Tarnanzug, der auf keinen einzigen von Lagerfelds Kommunikationsversuchen reagierte. An seinem Gürtel baumelten ein großes Überlebensmesser und ein Funkgerät. Doch Lagerfeld ließ sich von dem Ausbruch an Gastfreundschaft nicht beirren und folgte dem Ramboverschnitt über eine Wiese. Von hinten sah er, dass eine längliche Narbe den Hals des Mannes verzierte. Angeln schien ein gefährlicher Sport zu sein.
Haderlein hatte mal wieder richtiggelegen. Hubertus Graetzke stand bereits seit vierzehn
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