Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
Graetzke. Kriege werden heutzutage anders geführt. Da muss man sich ein bisschen umstellen«, flüsterte er ihm zu. Der Angler spürte noch den Atem auf seinem Gesicht, dann war mit einem Schlag das Herzrasen vorbei, und er hatte einen letzten klaren Moment, in dem sein Herzmuskel endgültig aufgab. »Schönen Gruß auch an den Fischerkönig«, hörte er die Stimme noch sagen, dann fiel der große, massige Körper von Hubertus Graetzke leblos nach vorne und schlug mit dem Gesicht hart auf den Steinboden auf. Von ferne hörte man einen Hund winseln.
*
Haderlein hatte sich mit dem angeschlagenen Lagerfeld im Greifenklau einen Platz an der Mauer mit Aussicht zur Altenburg gesichert. Es dämmerte, und der große Turm des mittelalterlichen Bauwerks leuchtete orange in der untergehenden Sonne. Ein äußerst romantischer Anblick, doch Lagerfeld hatte absolut keine Muße dafür. Frustriert starrte er auf die Tischplatte. Haderlein bestellte zwei Seidla Bier und gleich noch zwei Schnaps dazu.
»Jetzt lassen Sie mal den Kopf nicht so hängen, Lagerfeld«, versuchte er ihn aufzumuntern. »Wissen Sie was, Kollege Schmitt, vielleicht ist das ja auch der richtige Moment, um uns mal richtig und in Ruhe zu unterhalten. Ich wollte sowieso mal ein paar grundsätzliche Dinge mit Ihnen klären, Bernd.«
Bernd? Lagerfeld hob den Kopf. Was war denn jetzt kaputt? Haderlein sprach ihn nie mit Bernd an. Wie sollte er das einordnen? Eigentlich hatte er mit einer Rüge beziehungsweise Maßregelung seines Chefs gerechnet, stattdessen gab’s Vertraulichkeiten? Der Tag steckte voller Überraschungen.
»Passen Sie mal auf, Bernd«, fuhr Haderlein jetzt fort, »wie lange sind Sie jetzt schon bei mir – vier Monate?«
»Sechs«, stöhnte der Jüngere, während ihm das Tauwasser des Eisbeutels rechts hinten ins Hemd lief.
»Wirklich? So lange schon? Dann wird’s aber auch höchste Zeit«, meinte Haderlein. Er griff sich seinen Schnaps und schob Lagerfeld den seinen vor die Nase. »Ich werde meinen Kollegen doch nicht auf Dauer mit Sie anreden. Das werden wir jetzt mal schnell ändern.«
Lagerfeld musterte seinen Chef misstrauisch. »Ist das jetzt Ihr Ernst?«
»Selbstverständlich ist das mein Ernst. Also, ich bin der Franz.«
Lagerfeld ließ sich nicht zweimal bitten. »Und ich bin der Bernd.« Er griff sich den Schnaps. »Nachert Franz, auf aane gedeihliche Zusammenarbeit.« Sprach’s und stürzte den Williams in einem Zug hinunter. »Buhaa«, brummelte er, offensichtlich angenehm vom Geschmack berührt. Doch Haderlein schaute ihn an, als hätte er soeben mit ansehen müssen, wie ein Tourist aus Texas Ketchup über seine blauen Zipfel kippte.
»Also, äh, Bernd«, versuchte er es auf die vorsichtige Tour, »das gerade war ein sündhaft teures Destillat aus Südtirol, das schüttet man sich nicht so einfach hinter die Binde. Das genießt man. Ist doch kein Wodka.«
»Du, Franz, mir is grad net nach Feinsinnichkeiten, wenn du verstehst, was ich maan.«
Haderlein begann innerlich schon wieder zu übersetzen. Vielleicht war es wirklich an der Zeit, in Ruhe ein paar klare Worte zu wechseln.
»Jetzt hör mal zu, Bernd«, fing er an, »ich muss noch etwas klarstellen. Du wirst dich sicherlich gewundert haben, wieso ich ausgerechnet dich von der Sitte zu mir rübergeholt habe?«
Allerdings, dachte sich Lagerfeld, schwieg aber.
»Falls ich das also noch niemals gesagt habe, Bernd, ich glaube, du hast ganz außerordentliche Fähigkeiten.«
Lagerfeld fielen fast seine Augen aus dem Kopf. Er konnte nicht glauben, was er da hörte!
»Dir wohnt eine gewisse Unbefangenheit inne, die dir des Öfteren zu ganz ungewöhnlichen Schlussfolgerungen verhilft. Und deine Beobachtungsgabe ist geradezu phänomenal. So, das musste mal gesagt werden.«
Lagerfeld lächelte ungläubig. Einfach unfassbar! Haderlein fand ihn tatsächlich gut! Er badete geradezu im Wohlwollen seines Chefs. Die Beule tat auf einmal gar nicht mehr so weh.
»Andererseits gibt es da auch Seiten an dir, die schleunigst geändert werden müssen.«
Mit einem lauten Plopp platzte das hochzufriedene Selbstbild, das gerade von rechts nach links durch Lagerfelds Ego geschwebt war.
»Fangen wir mal mit deinem Äußeren an.«
Oh Gott, nicht dieses Thema. Da war er extrem sensibel. Seine Schmerzen wurden wieder stärker.
»Wenn du dich generell wirklich so kleiden willst mit deinem Schwänzchen und dieser Flowerpowerkarre fahren möchtest, na gut, meinetwegen. Aber wenn wir beide
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