Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
als wollte sie die sternenklare Nacht berühren. Doch der Fluss holte sich zurück, was ihm gehörte, und schon bald war das Wasser wieder ruhig und träge wie ehedem. Nur zwei leblose Bündel hatten ihre letzte Reise angetreten.
*
»Also, Franz, was meinst du jetzt eigentlich zu unserem Fall?«, sinnierte Lagerfeld nach ein paar Minuten einträchtiger Stille.
»Im Moment meine ich noch gar nichts«, entgegnete Haderlein.
»Ja, aber das ist doch eindeutig, dass der Graetzke da dahintersteckt!«, empörte sich der Kollege. »Wieso wäre er denn sonst abgehauen?« Er schüttelte den Kopf. Das war doch jetzt wirklich offensichtlich.
»Aber das Einzige, was wir Graetzke im Moment vorwerfen können, ist unterlassene Hilfeleistung, weil er dich einfach liegen gelassen hat«, widersprach der Chef. »Mehr nicht. Natürlich schreiben wir ihn zur Fahndung aus, aber wenn ich mal zusammenzähle, komme ich auf etliche Motive von etlichen Personen. Pass mal auf!«
Lagerfeld stützte den Kopf in seine Handfläche und bestellte mit dem anderen Arm noch zwei Bier, während er aufmerksam zuhörte. Von unter dem Tisch hörte man leises, aber konsequentes Schlabbern.
Haderlein begann: »Zuerst wäre da mal mein frisch festgesetzter Paddlermeister Scheidmantel. Er hasst die Angler, und vor allem konnte er Rast nicht ausstehen. Auch mit Graetzke hat er schon eine Schlägerei angefangen. Wenn das mal kein Motiv ist. Und Alibi hat er anscheinend auch keins. Dazu kommt natürlich der ganze andere Paddlerhaufen – insbesondere dieser smarte Organisator Fritz Helmreich. Der tut zwar ganz harmlos und überrascht, aber wer weiß, vielleicht ist er auch nur ein begnadeter Schauspieler vor dem Herrn. Okay.« Haderlein streckte demonstrativ zwei Finger seiner rechten Hand aus. »Zweitens: Graetzke. Das Motiv könnte im Streit mit Rast zu suchen sein, vielleicht hat ihn auch Neid dazu getrieben. Hat’s alles schon mal gegeben. Seine Flucht macht ihn aber auf jeden Fall verdächtig. Und dann«, Haderlein hob den dritten Finger, »dann ist da noch Manuela Rast mit ihrer gesamten Sippschaft. Den Anhang haben wir ja noch gar nicht verhört, aber bei so einem Despoten als Ehemann würde selbst ich auf dumme Gedanken kommen. Auch wenn es schade um die hübsche Frau wäre, das muss ich zugeben«, bekannte Haderlein unerwartet.
Erstaunt hob Lagerfeld seinen Kopf. »Ach, ist Ihnen … äh, dir das auch schon aufgefallen? Die ist doch nicht im Ernst schon vierzig, oder? Ich meine, guck sie dir doch mal an, das gibt’s doch überhaupt nicht!«
»Lagerfeld, finde dich einfach damit ab, dass sie nicht in deine Altersklasse fällt«, lachte Haderlein breit. »Und auch wenn dem nicht so wäre, ich würde erst mal die Finger von ihr lassen. Nachher landet sie noch lebenslang im Gefängnis, und du bist unglücklich in eine Knastologin verliebt. Das würde sich ganz schlecht auf deine Kriminalkarriere auswirken. Aber um darüber weiter zu diskutieren, ist es sowieso noch viel zu früh. Da gibt es schließlich noch Fragen über Fragen.«
»Ach so, ja, welche denn?«, wollte Lagerfeld nicht wirklich wissen, denn langsam machte sich das Bier bemerkbar. Doch sein Boss ließ sich in seinem Kombinationsdrang nicht beirren.
»Wieso ist das alles so umständlich?«, fragte er mehr sich selbst als Lagerfeld, dessen Augenlider schon auf halbmast gerutscht waren. »Wieso schlägt man Rast erst nieder, schleppt ihn dann ein paar Kilometer weiter, bindet ihn dort an einen Betonpfeiler fest, um ihn zu guter Letzt mit einer künstlich generierten Flutwelle zu ersäufen? Das hätte man doch auch leichter haben können, oder?«
»Mmmh?«, kam es nicht wirklich zustimmend von Lagerfeld, der gerade versunken die Riemenschneiderin betrachtete.
»Wer denkt sich denn freiwillig so einen fehleranfälligen Plan aus? Wenn man Rast unbedingt umbringen wollte, hätte man auch viel simpler und sicherer vorgehen können. Das macht so doch alles noch keinen Sinn. Da fehlen noch etliche Teile im Puzzle, das spür ich, Bernd. Dann sind da die Hinweise, die wir gefunden haben. Von denen wissen wir noch gar nichts. Die Visitenkarte mit der Klosteranschrift, das Handy und dazu noch die Zeitungsausschnitte, auf die ich in Rasts Büro gestoßen bin. Habe ich dir von denen eigentlich schon erzählt, Lagerfeld, äh, Bernd?«
Doch Bernd Schmitt alias Lagerfeld hatte sich verabschiedet. Sein Kopf lag in der rechten Armbeuge und nur knapp neben den zerflossenen Resten des Honeypenny’schen
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