Das Alabastergrab (Krimi-Edition)
eine Faust. Noch immer benommen, aber nichtsdestotrotz entschlossen nahm sie all ihre Kräfte zusammen und rammte den angewinkelten Ellenbogen in den Körper des auf ihr liegenden Mannes. Sie spürte etwas Weiches, Nachgiebiges, dann hörte sie einen markerschütternden Schrei, und der übel riechende Mann ließ von ihr ab und rollte aufs Bett zurück.
Doch die Freiheit war nur von kurzer Dauer. Im nächsten Moment wurde sie am Arm gepackt und brutal auf den Rücken geworfen. Der große, schwarze Kerl stand über ihr und hatte ein Messer in der Hand. Mit einer Bewegung riss er ihr den Bademantel bis zu den Hüften auf und kniete sich auf sie. Sie konnte sich keinen Millimeter mehr rühren. »Nein«, schrie sie verzweifelt ein letztes Mal. Dann drückte ihr Nikolai ein Kissen auf das Gesicht und hob das Messer.
*
Haderlein brauchte nur eine Schrecksekunde, um zu begreifen, dass er schnell handeln musste. Suchend fuhr seine Hand an seinem Körper umher. Verdammt, seine Dienstwaffe lag hundert Meter entfernt in seinem Fiat. Wenn er sie erst noch holen würde, wäre es vielleicht schon zu spät.
Aber wie sollte er ins Haus kommen? Ohne zu zögern, hob er den Blumenkasten aus Eternit samt Geranien aus dem Tragegestell und stieß ihn mit voller Wucht gegen das Fenster. Mit lautem Splittern brachen die Holzsprossen, und der Blumenkasten flog gegen den Tisch vor dem orangefarbenen Sofa. Ein Glas zerbrach, und Rotwein spritzte quer durch den Raum.
»Aufmachen, Polizei!«, brüllte Haderlein durch das Fenster, während er das restliche Fensterglas mit einer abgebrochenen Sprosse wegschlug. Dann stieg er in die verwüstete Wohnung und griff sich eine Tonvase, um wenigstens etwas Waffenähnliches bei sich zu haben. Im Zimmer war es ruhig, doch wie von ferne konnte er ein leises Wimmern hören. Er spähte um die Ecke.
»Kriminalpolizei, kommen Sie mit erhobenen Händen heraus, sonst mache ich von meiner Waffe Gebrauch!«, rief er.
Nichts geschah, nur der Vorhang am Fenster flatterte im Luftzug.
Haderlein wusste, was das bedeutete. Irgendwo stand noch ein anderes Fenster offen. Er rannte in das Zimmer, aus dem das Wimmern kam.
Manuela Rast lag mit entblößtem Oberkörper auf ihrem blutverschmierten Bett und hustete. Erleichtert registrierte Haderlein, dass sie lebte. Und er hatte recht gehabt, das zweiflüglige Schlafzimmerfenster war weit geöffnet. Er deckte Manuela Rast zu, so gut es ging, und schaute dann vorsichtig nach draußen. Doch in der Dämmerung konnte er nichts Auffälliges erkennen.
Plötzlich hörte er von der anderen Straßenseite kommend Riemenschneiders verstörtes Quieken. Ohne die Vase loszulassen, flankte er mit einem Satz aus dem Schlafzimmerfenster, sprintete zur Straße und sah gerade noch, wie ein schwarzer VW Tiguan davonbrauste. Hinter den abgedunkelten Scheiben konnte er schemenhaft zwei Männer ausmachen. Voller Wut schleuderte er die Vase hinterher. Sie zertrümmerte das rechte Rücklicht des Tiguans, konnte ihn aber nicht aufhalten. Quietschend bog das Auto um die Ecke den Kaulberg hinauf, wo Haderlein heute eigentlich nur noch ein Bier hatte trinken wollen.
Riemenschneider kam grunzend auf ihn zugehumpelt. Obwohl sie Blutspuren auf ihrem Rücken hatte, schien sie unverletzt. Offensichtlich war einer der flüchtenden Männer über sie gestolpert. Haderlein nahm sein Ferkel an sich und kletterte mit ihm zusammen durch das Schlafzimmerfenster zurück zu Manuela Rast.
Die Frau saß mittlerweile zitternd auf der Bettkante. Mit der einen Hand hielt sie sich die brennende Gesichtshälfte, mit der anderen krampfhaft das zerrissene Oberteil ihres Bademantels vor sich, um notdürftig ihren Oberkörper zu bedecken.
Als Franz Haderlein sich neben sie setzte und sie in den Arm nahm, brach sie schluchzend zusammen.
*
Clemens Martin hatte sich mit den Mitgliedern der CADAS an einen der langen Tische im Speisesaal gesetzt. Verstohlen sahen sie sich um, ob vielleicht einer der Lehrkräfte sie beobachtete. Womöglich hatte der Regens persönlich vor, sie in Anwesenheit des versammelten Ottonianums zu maßregeln, was richtigen Ärger bedeuten konnte. Aber nichts wies darauf hin.
»Also, was ist jetzt mit euch los?«, flüsterte Pankraz Peulendorfer. »Warum schaut ihr alle so, als müsstet ihr gleich aufs Schafott?« Auch seine beiden Lakaien spitzten die Ohren.
»Die CADAS ist aufgeflogen«, erklärte ihm Clemens. »Der Regens will die Gruppe verbieten. Wenn wir uns noch ein Mal heimlich treffen,
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