Das Alabastergrab
Schluck
von seinem Rotwein und blinzelte Riemenschneider zu, die die Entwicklung mit
allergrößter Befriedigung zur Kenntnis nahm. Ihre Ohren hatte sie so gerade
aufgestellt, als hätte sie jemand mit einer Schnur an die Decke genagelt. Hier
konnte man ja tatsächlich noch was lernen, grunzte sie zu sich selbst.
*
Honeypenny musste noch genau eine Stunde Dienst schieben, Lagerfeld
lag bestimmt schon im Bett, und Haderlein hatte sich in die Bereitschaft
abgemeldet. Vielleicht war es ja in dieser Nacht zu schaffen, etwas zu
schlafen, dachte sie. Schön wäre es schon, es konnte ja nicht immer so
weitergehen. Aber da klingelte das Telefon. Hilflos hob sie die Augen gen
Himmel. Wäre ja auch zu gut gewesen. Hoffentlich war es wenigstens wichtig. Sie
nahm ab und erfuhr, dass es tatsächlich wichtig war. Es war auch nicht der
letzte bedeutungsvolle Anruf, den sie an diesem schwülen Augustabend noch
erhalten sollte.
*
Haderlein hatte sich mit Manuela Rast auf sein Sofa zurückgezogen
und den Fernseher eingeschaltet. Im bayerischen Programm wurde gerade über
seine Pressekonferenz mit Fidibus berichtet. Die Hauptrolle in dem Beitrag
spielte allerdings Riemenschneider. Von Dagmar Thiel wurde sie als neue
Kommissarin vorgestellt und in diversen Großaufnahmen gezeigt.
»Schau an, wir haben einen Medienstar im Haus«, bemerkte Haderlein
süffisant, während er Manuela zulächelte. Sie lächelte zurück, wurde
tatsächlich etwas rot und begann, nervös an ihrer Bluse zu zupfen.
Riemenschneider bekam von all dem Techtelmechtel nichts mit, weil
sie voller Begeisterung ins Fernsehgerät starrte. Ihr Blick verriet gespannte
Aufmerksamkeit ob der Bilder, die da auf der Mattscheibe flimmerten.
Haderlein musste schon wieder schmunzeln. Das war ja fast eine
familiäre Stimmung hier. Dann klingelte das Telefon. Verzweifelt schloss er die
Augen und atmete tief durch. Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Bestimmt wollte
ihm irgendjemand seinen Feierabend verderben. Er konnte nicht ahnen, wie recht
er damit hatte.
Als er den Hörer abnahm, wurde sein Blick ernst. Er griff sich den
Stift und den Notizblock, die immer neben dem Telefon lagen, kritzelte etwas
mit und musste sich dann setzen.
»Nein«, sagte er. »Geben Sie den Kollegen dort Bescheid und wecken
Sie Lagerfeld. Er soll sich einen Haftbefehl besorgen und gleich ausführen. Es
hilft ja nichts.« Er legte auf und schaute mit versteinerter Miene zu Manuela
Rast hinüber. Sie stellte ihr Glas Wein auf die Seite.
»Was ist passiert?«, fragte sie besorgt.
Haderlein nahm ihre Hand. »Wir haben soeben die Nachricht bekommen,
dass eine E-Mail-Adresse entschlüsselt wurde.«
»Was denn für eine E-Mail-Adresse?«, fragte sie verwirrt.
»Es gab einen geheimen Chatroom im Internet auf einem versteckten
Server. In diesem Chatroom wurde verabredet, deinen Mann an den Betonpfeiler zu
binden, allerdings ohne die Absicht, ihn zu töten, so wie es aussieht. Zwei der
Täter haben sich bereits gestellt, aber zwei weitere fehlten noch. Die Kollegen
in Nürnberg hatten bisher kein Glück mit ihrer Internetrecherche und konnten
keine der E-Mail-Adressen zuordnen. Zu clever versteckt. Tja, heute haben sie
doch eine geknackt. Wir haben den Namen des Manns soeben übermittelt bekommen,
und er wird gerade verhaftet.«
Manuela Rast sprang auf. »Wer ist es? Eigentlich sollte man dem
einen Orden verleihen.« Dann bemerkte sie den seltsamen Blick Haderleins. »Aber
warum schaust du mich so komisch an?«
»Weil du denjenigen kennst, den wir gerade in Bayreuth verhaften.
Die E-Mail-Adresse ›Peter 69‹ gehört Sven Rast, deinem Sohn.«
Entsetzt und fassungslos schaute sie ihn an. »Sven?«, brachte sie
gerade noch ungläubig über ihre Lippen, bevor sie von ihren Gefühlen übermannt
wurde. In Sturzbächen liefen ihr die Tränen über das Gesicht, und sie
schluchzte hemmungslos. »Nein!«, schrie sie dann. »Nein, nein, nein, nein …«
Haderlein hatte Mühe, sie aufrecht zu halten. Riemenschneider
verdrückte sich wegen der Aufregung in die hinterste Ecke des Zimmers.
Es war zwar so schon schlimm genug, allerdings hatte der
Hauptkommissar ihr nicht die ganze Wahrheit erzählt. Er hatte verschwiegen,
dass es einen weiteren Mord gegeben hatte, diesmal in einer Brauerei in
Kulmbach. Ob dieser etwas mit seinem Fall und dem Sohn von Manuela Rast zu tun
hatte, war noch nicht klar, aber es roch förmlich danach. Und ob er wollte oder
nicht: Er musste jetzt auf die Dienststelle.
Er rief die
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