Das Alabastergrab
lauter verschiedenen Männern gefunden. Erst haben wir gedacht,
das wäre so was wie ihre private Liebhaberkartei, aber meine Tante war sehr
katholisch und hat sich aus Liebeleien nichts gemacht – zumindest soweit uns
bekannt war.«
»Wirklich eine sehr schöne
Geschichte, Huppendorfer, aber was wollen Sie uns damit sagen?« Haderlein hatte
keine Lust auf brasilianische Familienepen.
»Nun, wir rätselten eine
Woche lang vor uns hin, bis ein Cousin von mir auf die Idee kam, die Namen bei
Google einzugeben und zu schauen, was dann passierte.«
»Und, ist denn was
passiert?«, fragte Lagerfeld ungeduldig.
»Allerdings«, antwortete der
Computerexperte sofort. »Wie sich herausstellte, waren die Männer die
Schulkameraden meiner Tante. Wir haben sogar ein Bild der Klasse gefunden, auf
der meine Tante als einzige weibliche Schülerin abgebildet war. Was ich damit
sagen will, ist, dass wir doch einfach mal die Namen in die Suchmaschine
eingeben könnten und dann …«
Er wurde von Haderlein
unterbrochen, der so rasch aufsprang, dass sein Stuhl zwei Meter weit in die
Ecke flog. »Ich bin doch so ein Idiot!«, rief er, schlug sich mit der flachen
Hand gegen die Stirn und rannte zu seinem Schreibtisch. Die restliche
Mannschaft schaute ihm entgeistert hinterher, doch Haderlein wühlte schon in
verschiedenen Zetteln herum und hatte binnen Sekunden gefunden, was er suchte.
Den Zeitungsausschnitt mit dem Abschlussjahrgang des Ottonianums von 1974. Um
den Hauptkommissar hatte sich schnell ein Kollegenkreis gebildet. Keiner traute
sich, etwas zu sagen.
»Die Liste mit den
Ermordeten, aber dalli!«, forderte Haderlein. Honeypenny reichte sie ihm. »Ich
bin doch so ein Idiot«, wiederholte Haderlein wütend. Schnell überflog er den
Artikel – dann traf ihn der Schlag. Da standen sie tatsächlich alle: Edwin
Rast, Hubertus Graetzke, Pankraz Peulendorfer und auch ein gewisser Max
Schiller. Jede Wette, dass der Name der männlichen Leiche in Erlangen auch auf
der Liste zu finden war. Haderlein markierte mit Leuchtstift alle Namen und
heftete den Artikel auf das Flipchart.
»Das ist unser Opferkreis,
Herrschaften«, verkündete er. »Der Abschlussjahrgang des Ottonianums aus dem
Jahre 1974. Und der Leiter des Ottonianums in diesem Jahr war ein gewisser
Kolonat Schleycher, der jetzige bayerische Umweltminister«, fügte er
triumphierend hinzu.
»Soll das bedeuten, dass da
draußen ein Irrer herumrennt und die ganze Klasse abknallen will?«, fragte
Lagerfeld.
»Ob die ganze Klasse oder
nur einen Teil davon, das steht noch nicht fest«, sagte Haderlein vieldeutig.
»Aber bevor wir hier weiter herumrätseln, will ich, dass alle noch lebenden
Klassenmitglieder gefunden und mit ihren Familien in Sicherheit gebracht
werden. Das übernehmen Sie, Huppendorfer. Lagerfeld und ich stürzen uns mal auf
diesen Max Schiller. Irgendwo muss der doch zu finden sein.«
»Wir werden ganz bestimmt
einen Max Schiller finden. Ist ja auch ein total seltener Name«, bemerkte
Lagerfeld zynisch, während er sich erhob.
»Wir werden ihn trotzdem
finden, Bernd!« Haderlein schaute seinem jungen Kollegen tief in die Augen.
»Und dieses verdammte Buch auch!« Es war nicht zu übersehen, dass Haderlein
Feuer gefangen hatte. Er stand in der Mitte des Raumes wie ein Racheengel aus
vergangenen Zeiten und loderte innerlich.
»Ich weiß nicht, was damals
in diesem Ottonianum passiert ist, Lagerfeld«, meinte Haderlein dann wieder
ruhiger, »aber ich werde das herausfinden, und wenn es das Letzte ist, was ich
in meiner beruflichen Laufbahn tue!«
Mozart
Der Schulausflug der
Abschlussklasse des Ottonianums näherte sich seinem Ende. Clemens Martin hatte
den Tag bedrückt verbracht, seine Gedanken waren woanders. Die Stimmung in der
ganzen Klasse war angespannt. Auch außerhalb der CADAS spürten die Jungen, dass etwas Ungutes in der Luft
lag. Ausgerechnet Max Schiller kümmerte sich fast liebevoll um Clemens und
Peter. Trotzdem blieben seine Versuche, die beiden aufzumuntern, vergeblich.
Der Verlauf des Tages war stimmungsmäßig eine Katastrophe für die beiden
gewesen. Des Öfteren hatte man sie in einer dunklen Ecke stehen und miteinander
reden sehen, wobei Clemens seinen kleineren, schmächtigen Mitschüler nicht
selten stützen musste, damit dieser nicht einfach zusammenbrach. Jeder konnte
es sehen: Peter Nickles war am Ende seiner Kräfte.
Mozart stand mit dem Rest
der Klasse in der Mitte des großen Kirchenschiffs und ließ sich
Weitere Kostenlose Bücher