Das Alabastergrab
zerflossen.
Väterlich legte Haderlein seinem jungen Kollegen die Hand auf die
Schulter. »Gut gemacht, Lagerfeld, gut gemacht. Da haben wir ja was, mit dem
wir arbeiten können.« Dann stutzte er. Concordiastraße? Das war doch gleich um
die Ecke von ihm. Er drehte sich zur Leiche um und betrachtete nochmals das
Gesicht. Na klar, den kannte er doch vom Sehen! Schau mal einer an, das war ja
einer seiner Nachbarn, der nur ein Stück weiter die Regnitz runter wohnte.
Sichtlich selbstzufrieden klappte Lagerfeld das Notizbuch zu.
»Danke, Chef. Un was bedeutet des jetzt für meinen weideren Tagesablauf, ich
mein, wechen meiner Abkommandierung zur Baddologie …?« Leider verdeckte die
Sonnenbrille seinen Dackelblick, sonst hätte sein steinerweichender Blick dem
Hauptkommissar sicher das Kriminalistenherz geschmolzen. So war der mildernde Effekt
nur marginal.
»Will mal so sagen, lieber Kollege«, entgegnete Haderlein, noch
immer väterlich. »Wir machen uns jetzt zusammen auf und klären vor Ort die
merkwürdigen Vorkommnisse dieses Tages am Main.« Er begann beiläufig in den
Berichten der Landpolizei zu blättern. »Aber zuallererst werden wir einer
ahnungslosen Witwe in Bamberg eine traurige Nachricht überbringen müssen.«
»Alles klar, Chef, da bin ich aber erleichtert.«
»Und nachdem wir das erledigt haben, werden Sie der Autopsie der
Leiche beiwohnen«, vollendete Haderlein emotionslos. »Ich werde Herrn
Siebenstädter natürlich Bescheid geben, dass er auf Sie warten soll.«
Lagerfeld sah aus, als hätte ihn der Blitz getroffen. Haderlein
grinste.
»Verstehen Sie’s nicht als Maßregelung, sondern als Fortbildung,
mein lieber junge Kollege. Sie werden es schon überleben. Und jetzt ran an die
Arbeit. Riemenschneider wartet bestimmt schon ungeduldig.«
*
Die Concordiastraße in Bamberg war eine Sackgasse. Schmal und mit
kleinen Steinen gepflastert zwängte sie sich zwischen alten und schiefen
Fischerhäusern hinunter zum Regnitzufer, um dann unvermittelt an der Villa
Concordia zu enden, einem Wasserschloss, das inzwischen zu einer
Eliteeinrichtung für heranreifende europäische Musikbegabte umfunktioniert
worden war. Ein Talentsilo der bayerischen Staatsregierung, dachte Haderlein
bei sich, als er mit Lagerfeld in Sichtweite des Treppenaufganges zur Villa
parkte.
Nummer 17 war ein altes, schmales Fachwerkhaus, dessen Rückseite zur
Regnitz zeigte. Offensichtlich war es frisch renoviert worden, allerdings mit
dem Habitus einer deutschen Einbauküche, Typ »Eiche rustikal«. Am Türstock war
auf Schulterhöhe ein schmiedeeisernes Schildchen angebracht, auf dem man in
kleinen, aufrecht stehenden Lettern den Namen »Rast« lesen konnte. Haderlein
suchte vergebens nach einer Klingel und betätigte schließlich in Ermangelung
dieser den Türklopfer.
Zuallererst passierte überhaupt nichts. Die Mittagssonne warf einen
Schatten vom Nachbarhaus der gegenüberliegenden Straßenseite auf die zwei
kleinen Fenster, und Lagerfeld versuchte, durch eines der beiden irgendetwas zu
erkennen. Haderlein betätigte die Klopfer erneut und hatte diesmal Erfolg.
Hinter der Tür war ein Geräusch zu vernehmen.
»Lagerfeld, kommen Sie her, es ist jemand zu Hause.« Der Kollege
zertrat seine Zigarette und kam gerade noch rechtzeitig, um sich neben
Haderlein zu gesellen, als sich die Tür knarrend öffnete.
Vor ihnen stand eine Frau mittleren Alters mit rötlich getönten
Haaren. Ihr Blick war entweder streng oder beherrscht, so genau konnte man das
nicht sagen. Sie gab eine schlanke, gut aussehende Erscheinung ab, registrierte
Lagerfeld positiv überrascht. Die roten Locken fielen ungeordnet ins Gesicht
und verliehen ihr etwas Mädchenhaftes. Sie mussten sie aus dem Bad oder dem
Bett geholt haben, denn sie war barfuß und trug nur einen Bademantel. Auf jeden
Fall wusste sie noch nichts vom Ableben ihres Mannes.
Sowohl Haderlein als auch Lagerfeld hatten schon mehrmals solche
Nachrichten überbringen müssen. Das war so ziemlich der unangenehmste Teil
ihres Berufsbildes. Den Ausdruck der ahnungslosen Erwartung einer Witwe, die
erst von ihrem neuen Familienstand in Kenntnis gesetzt werden musste, konnte
man so schnell nicht vergessen.
Lagerfeld überließ die Prozedur zumeist gerne seinem Chef. Er selber
war nicht dafür geboren, in solchen Momenten die richtigen Worte zu finden.
Auch dafür war es gut, einen älteren, erfahrenen Vorgesetzten zu haben. Zudem
war Haderlein ja auch Hauptkommissar, er hingegen nur ein
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