Das Alabastergrab
Jägerschnitzel, nämlich überhaupt nicht.
Mit einem Tablett voller Tassen, Kaffee und Zubehör kam die rot
gelockte Erscheinung wieder aus der Küche. Im Gegenlicht des dahinterliegenden
Fensters wirkte sie auf Lagerfeld wie ein Rauschgoldengel. Er war spontan
hingerissen. Das sollte die Frau von der Wasserleiche sein? Nach dem
glatzköpfigen Toten und dem äußeren Eindruck des Hauses hatte er bei Gott etwas
anderes erwartet.
»Äh, Frau Rast, wir wollten …«, versuchte Haderlein die konsequenten
Vorbereitungen zum Brunch abzukürzen.
»Milch, Zucker oder Süßstoff?«, kam es wie aus der Pistole
geschossen aus dem strengen, aber sinnlichen Mund.
»Süßstoff bitte, drei Stück«, preschte Lagerfeld vor und nahm sich,
ohne auf die tadelnden Blicke seines Chefs zu achten, eine Tasse. »Schöner
Bademantel übrigens«, versuchte er sich in Smalltalk. Die nackten Beine, und
was für welche, verursachten in seiner Testosteron-Meldezentrale Kurzschlüsse,
während die zierlichen Finger des Engels ihm Kaffee eingossen. Diese Schönheit
konnte doch höchstens dreißig, maximal dreiunddreißig Jahre alt sein. Genau
sein Beuteschema! Der Single Lagerfeld schmachtete entzückt und gab sich ersten
Tagträumen hin.
»Und Sie, Herr … Hauptkommissar Haderlein?«, erkundigte sich der
Engel formvollendet.
»Schwarz, bitte«, erwiderte er höflich. »Frau Rast, es wäre
vielleicht besser, wenn Sie sich setzen würden. Wir müssen Ihnen etwas
Schockierendes mitteilen.«
»Sofort, meine Herren, ich hole mir nur schnell was für meine Füße.
Der Boden hier ist wirklich etwas kühl.« Im Handumdrehen war sie schon wieder
verschwunden.
»Was für eine Frau«, entglitt es Lagerfeld, während Haderlein
verblüfft und erstaunt die Stirn in Falten zog. Frau Rast war wirklich cool.
Verdammt cool.
»So, jetzt bin ich endlich betriebsbereit.« Die Hausherrin bog zügig
um die Küchenecke. Mit Schwung und immer noch im Bademantel nahm sie den beiden
Kommissaren gegenüber auf einem allein stehenden, ebenfalls orangeroten,
quadratischen Sitzelement Platz, griff sich ihre Kaffeetasse, schlug die Beine
übereinander und schaute aus selbstbewussten braunen Augen den Dingen entgegen,
die da kommen sollten. Lagerfeld fiel vor Aufregung fast der Kaffee aus der
Hand.
»Frau Rast«, begann Haderlein erneut. Er stellte seine Tasse
vorsichtig auf den Tisch zurück und musterte sein Gegenüber aufmerksam. »Frau
Rast, Ihr Mann, Edwin Rast, ist heute Morgen tot aufgefunden worden.«
Manuela Rast wich seinem Blick kurz aus, indem sie einen langen
Schluck aus ihrer Kaffeetasse nahm. Ansonsten war für Haderlein keine Reaktion
erkennbar.
»Was meinen Sie mit: aufgefunden?«, fragte sie schließlich sehr
gefasst.
»Nun, Ihr Mann wurde an einem Pegelmesspfeiler des Mains nahe der
Straßenbrücke in Kemmern festgebunden und ist dort wohl ertrunken. So sieht es
jedenfalls momentan aus.«
Sie hob ihren Kopf, blickte schnell erst zu Haderlein, dann zu
Lagerfeld, schaute dann an die Decke und fing an zu lachen. Ihre Hände hatten
Mühe, die Kaffeetasse dabei ruhig zu halten.
Die Kommissare sahen sich verstört an. Keiner von ihnen hatte eine
solche Reaktion erwartet. Die frisch gekürte Witwe erging sich nicht etwa in
Trauer oder Depression, nein, sie schüttete sich vor Lachen aus. Und wenn sie
nicht aufpasste, würde die fröhliche Engelsfrau gleich vom Sitzelement
plumpsen.
»Am Pegelmesspfeiler?«, japste sie außer sich vor Heiterkeit. »Was
für ein genialer Abgang!« Jede Strenge oder Coolness war aus ihrem Gesicht
verschwunden. Vor ihnen saß plötzlich eine attraktive und offene Frau, die sich
einfach nur köstlich über den Witz des Jahres amüsierte. »Meine Herren, Sie
müssen entschuldigen, aber wir machen jetzt einen Sekt auf … Pegelmesspfeiler«,
konnte man sie noch kichern hören, als sie schon in der Küche verschwunden war.
Lagerfeld saß mit offenem Mund da, starrte auf das gerade verlassene
orange Sitzelement und konnte nicht glauben, was da gerade ablief. Fast wäre
ihm sein Notizblock aus den Händen entglitten.
Haderlein seinerseits versteckte seine nicht minder große
Überraschung hinter der professionellen Maske des stoischen Kriminologen. Im
Gegensatz zu seinem Kollegen begann es in seinem Gehirn jedoch heftigst zu
arbeiten. So etwas hatte er noch nie erlebt. Und ungewöhnliche Erlebnisse waren
in seiner bisherigen langen Karriere als Polizeibeamter nun wirklich keine
Seltenheit gewesen. Die Reaktionen von
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