Das Albtraumreich des Edward Moon
mit, trat näher und hörte
aufmerksam zu, als der Passagier ihn nach dem besten Weg zur Tottenham Court
Road fragte. Selbstredend war Cribb außerstande, solch einer Einladung zu
widerstehen – geschweige denn der Versuchung, eine Anzahl historisch
wissenswerter Leckerbissen hinzuzufügen. Er sprach über dies und das und war
mitten in einer Schnurre über die mittelalterliche Hexe von Kentish Town, als
der Fremde ihn bat, zu ihm in die Kutsche zu steigen, um so – wie er
behauptete – bequemer den Stadtplan konsultieren zu können. Cribb folgte
der Einladung, doch in Anbetracht seiner prophetischen Begabung hätte er
vielleicht das Symbol erkennen sollen, das unauffällig auf der Tür der Droschke
angebracht war: eine Blume mit fünf Blütenblättern.
Zwei Männer saßen im Inneren – vom Aussehen
her echte Rabauken, kraftstrotzende Typen von jener Sorte, die ihren
Lebensunterhalt damit verdienen, dass sie anderen Leuten die Knochen brechen
oder sie überhaupt zum Krüppel schlagen. Als Cribb in die Droschke stieg, hieb
sich einer der beiden vielsagend mit der rechten Faust in die linke Handfläche
und grinste lüstern.
»Ich habe euch natürlich erwartet«, bemerkte der
hässliche Mann, »weil ich die Zukunft gesehen habe. Ich weiß, wie die
Geschichte weitergeht.«
Worauf ihn einer der beiden Männer gegen die
Rückenlehne der Sitzbank stieß und anfing, das zu tun, was vielen von uns
bereits seit langem in den Fingern juckt: Er bearbeitete Cribb solange mit den
Fäusten, bis dieser – unaufhörlich davon brabbelnd, dass die Zeit für ihn
in einer anderen Richtung ablief – das Bewusstsein verlor.
Mittlerweile schwebte Mrs Grossmith auf
einer Wolke des Glücks. Unermesslichen, unvorstellbaren, unerwarteten Glücks.
Sie hüpfte geradezu ausgelassen durch die Tür ins Schlafzimmer ihres
Dienstgebers, ohne sich mit Klopfen aufzuhalten.
»Mister Moon!«, trillerte sie mit sich
überschlagender Stimme. »Mister Moon!«
Doch als sie das Zimmer betreten hatte, wurde
ihrer Hochstimmung schlagartig ein Dämpfer versetzt, und es ging ihr wie dem
Hochzeitsgast, der irrtümlicherweise in ein Leichenbegängnis platzt.
Sichtlich irritiert von der Störung wandten ihr
drei Männer die erstarrten Gesichter zu – Mister Moon, der Schlafwandler
und ein zwielichtig aussehender Fremder.
»Was wollen Sie?«
In den zehn oder mehr Jahren, die sie schon in
seinen Diensten verbrachte, hatte sich Mrs Grossmith an Moons ewige Gereiztheit
und harschen Umgangston längst gewöhnt. Daher nahm sie die bissige Frage –
abgefeuert wie vom Staatsanwalt an den Zeugen der Verteidigung – genau so
auf wie jede andere barsche Abfuhr und herbe Kränkung im letzten Jahrzehnt:
indem sie ihm ihr schönstes Lächeln schenkte und unbeirrt ihr Vorhaben
weiterführte.
»Es tut mir leid, wenn ich störe. Dürfte ich Sie
kurz sprechen?«
»Kein guter Zeitpunkt.«
»Ich habe eine wichtige Neuigkeit«, beharrte Mrs
Grossmith. »Sie kann nicht warten.«
»Mister Moon?«, schaltete sich der Fremde ein,
während er Mrs Grossmith mit einem Nicken grüßte. »Entschuldigen Sie, Lady,
aber das hier wiegt wirklich schwer.«
Er war ein magerer, schmutziger Mensch, soeben im
Begriff, eine Reihe von Straßenplänen auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers
auszubreiten. Der Schlafwandler sah ihm dabei gebannt über die Schulter,
offenbar fasziniert von dieser kartographischen Vielfalt.
Moon bewegte die Hand nachlässig in seine
Richtung. »Das ist Mister Clemence. Er hat sich auf meine Anzeige hin
gemeldet.«
»Sagen Sie einfach Roger zu mir«, bot der Fremde
Mrs Grossmith an und kniff anzüglich ein Auge zu.
»Mister Clemence«, beendete Moon die Nettigkeiten,
»was wollten Sie mir gerade sagen, als wir unterbrochen wurden?«
Clemence deutete auf eine der Karten. »Sehen Sie
hierher. Da ist es passiert.«
Mrs Grossmith wollte die Stimme erheben, aber der
Detektiv schnitt ihr sofort das Wort ab. »Bitte! Das ist von allerhöchster
Wichtigkeit!« Er schritt an den Tisch, um die Karte zu betrachten, und Mrs
Grossmith konnte nur hilflos schniefen; ihr ganzer Überschwang war dahin.
Moon lenkte ein. »Dieser Herr arbeitete früher bei
der städtischen Bahngesellschaft. Das Hauptquartier von
Love
befindet
sich unter der Erde. Wir versuchen, einen Weg dort hinunter zu finden.«
Die Haushälterin seufzte. »Sicher sehr
interessant.«
Clemence zeigte auf einen Teil der Karte. »Sehen
Sie, hier, unter dem Monument, das sind alles aufgelassene
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