Das Albtraumreich des Edward Moon
seine Schuhe, den Saum
seiner Hosenbeine und die Strümpfe darunter. Er zündete sich eine Zigarette an
und spürte erleichtert, wie der Rauch befreiend in seine Lunge strömte.
»Mister Moon?«
Ein Mann stand hinter ihm, einer der Gäste, ein
Amerikaner, dessen Name Moon auf der Stelle wieder entfallen war. Die
Zigarrenspitze des Fremden glühte teuflisch im Halbdunkel. »Genießen Sie den
Abend?«
Moon überging die Frage und nahm stattdessen einen
Zug aus seiner Zigarette. »Womit kann ich Ihnen zu Diensten sein?«, fragte er
schließlich, »Mister …«
»Stoddart«, sagte der Amerikaner mit einem
schiefen Lächeln.
»Ach ja, natürlich.« Glatt und ausdruckslos verzog
Moon seinerseits den Mund.
»Ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen. Ich
gebe
Lippincott’s Monthly Magazine
heraus. Vielleicht haben Sie schon
von uns gehört.«
Moon schüttelte den Kopf.
»Wir sind ein monatlich erscheinendes
Journal – ein nicht ganz unbedeutendes, wenn ich so sagen darf. In der
Vergangenheit durften wir Beiträge einiger unserer hervorragendsten
Schriftsteller bringen. Arthur Doyle verfasste einen Aufsatz über …«
»Ein armseliger Schreiberling, Mister Stoddart.
Ein Stümper.«
Der Amerikaner versuchte es von neuem. »Oscar
Wilde …«
Moon antwortete mit einem ausdrucksvollen Gähnen;
er weigerte sich, beeindruckt zu sein. »Wozu erzählen Sie mir das alles?«
»Ich möchte, dass Sie sich diesen Herren
zugesellen.«
»Ich bin kein Schriftsteller. Ich habe nichts zu
berichten.«
Der Verleger warf seine Zigarre weg und bohrte mit
der Schuhspitzen das ins Erdreich, was von ihr übrig war. »Aber
selbstverständlich, Sir, das haben Sie! Ich denke ja nicht an etwas
Romanhaftes, frei Erfundenes – nein, ich denke hier an etwas unendlich
Anspruchsvolleres!«
»Oh?«
»Ich möchte Ihre Autobiographie. Ein Leben so voll
Vielfalt und unbändiger Aktivität wie das Ihre sollte einen packenden Lesestoff
abgeben – ja, es würde, stelle ich mir vor, sogar von einigem historischem
Wert sein.«
»Von historischem?« Moon verzog das Gesicht. »Von
historischem
?«
Er drehte sich um und schritt auf das Haus zu. »Meine Laufbahn ist noch nicht
zu Ende! Ich habe kein Interesse, meinen eigenen Nachruf zu schreiben!«
Stoddart wählte seine nächsten Worte mit äußerster
Sorgfalt. »Wir sollten vielleicht die Blasiertheit beiseite lassen. Wir wissen
beide, dass Ihre beste Arbeit bereits weit hinter Ihnen liegt. Seit Clapham
sind Ihre Aktien beträchtlich gefallen.«
»Es gibt immer noch einen letzten großen Fall«,
widersprach Moon störrisch.
Der Mann blieb hartnäckig. »Sie schulden der
Öffentlichkeit die Wahrheit. Unsere Leser möchten erfahren, wie Sie die
Limmeridge-Park Morde aufgeklärt haben! Wie Sie den Unhold dingfest machten!
Alles über das abenteuerliche Unternehmen Smuggler’s Bay! Das sogenannte Wunder
von Mile End! Die Gerüchte um Ihre Beteiligung am Crookback-Streifzug von
Achtundachtzig!«
Moon bedachte seinen Inquisitor mit einem
misstrauischen Blick. »Ich wusste nicht, dass dieser Vorfall an die
Öffentlichkeit gedrungen ist.«
»Nennen Sie Ihren Preis«, entgegnete der Verleger
und schlug ihm sogleich eine Summe vor, die selbst heute noch ein kleines
Vermögen darstellen würde.
Moon war am Haus angelangt und drehte sich noch
einmal zu dem Amerikaner um, der ihm auf den Fersen war. »Meine Vergangenheit
steht nicht zum Verkauf, Mister Stoddart. So. Da haben Sie meine Antwort.« Er
trat durch die Tür und zog sie hinter sich zu.
Seine Schritte führten ihn geradewegs ins
Billardzimmer zu seinem Begleiter, der allein und schweigend dasaß, ein Glas in
einer Hand, eine glimmende Zigarre in der anderen, ein breites, glückseliges
Lächeln auf dem Gesicht.
Moon wandte sich an den Gastgeber und sagte
barsch: »Lassen Sie eine Droschke rufen. Der Schlafwandler und ich wollen
gehen.«
Den Schlafwandler einfach nur als einen
außergewöhnlich hochgewachsenen Mann zu beschreiben, würde seinem Andenken wohl
nicht gerecht werden. Er war von abnormer, geradezu grotesker
Körpergröße –, und wenn man dem Geraune, das nach seinem Tod zirkulierte,
Glauben schenken will, maß er sogar einiges über acht Fuß. Unter dem Wust
dunkelbraunen Haares trug er einen stattlichen, gepflegten Backenbart, und dazu
strahlte er eine liebenswürdige Naivität aus, die nur zu leicht über seine
gewaltigen Körperkräfte hinwegtäuschte. Zu all dem kam die Kuriosität einer
kleinen Schiefertafel, die er
Weitere Kostenlose Bücher