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Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel

Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel

Titel: Das Allheilmittel - Valoppi, J: Allheilmittel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jennifer Valoppi
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seinem Vater in Los Angeles aufhielt. Aber seine Mutter meinte, das sei kein Vergleich. Hier sei ein eigenes Land, das mit beiden Küsten nichts zu tun hatte.
    In Manhattan war bewusst alles extrem. Die Gebäude waren höher, die Restaurants besser, die Menschen schneller, die Atmosphäre intensiver. Nur die Besten und Klügsten lebten hier gut. Die Reichen wurden reicher, die Armen ärmer. Geld stellte einen entscheidenden Motivationsfaktor dar, denn besaß man es nicht in Hülle und Fülle, war es nahezu unmöglich, ein anständiges Leben zu führen. Eine Mittelklasse gab es in New York kaum. Auf jeden Fall keine, von der seine Mutter aus ihrer Kindheit erzählte; sie war im mittleren Westen aufgewachsen.
    Vielleicht lag es daran, dass sich mit dem wachsenden Erfolg seiner Mutter auch ihre Angst steigerte, diesen wieder zu verlieren – sie wollte um keinen Preis etwas sein, das mit mittel- begann. Jedenfalls war seine Mutter völlig anders als seine Großmutter. Letztere kümmerte ihr Status wenig, und sie hatte nie Angst. Justin hoffte, auch jetzt nicht.
    Kaum betrat er das Manhattan Mercy Hospital, ließ ihn die Eingangshalle aus Granit und Marmor bis ins Mark frösteln.
    Justin liebte seine Großmutter mehr als jeden anderen Menschen, den er je gekannt hatte. Sie war immer bereit, zu lachen und zu spielen, schien regelrecht süchtig nach Spaß und Aufregung sowie danach, neue Dinge zu lernen. Seine Mutter hingegen lernte Neues nur aus beruflichen Gründen.
    Er ging durch den ersten Stock und spähte in die Zimmer mit Kranken, die dort in jenen schrecklichen Nachthemden lagen, die Münder offen und sabbernd, die Haut runzlig, Furcht in den Augen – direkt daneben ein Beatmungsgerät ...
    Die gräulichen Wände verursachten ihm Übelkeit, als verstopfte ihm die Farbe den Magen. Und dieser Geruch – er hasste diesen Gestank und betete, dass es bei seiner Großmutter nicht so werden würde.
    Er spähte um den Türrand und versteckte Blumen hinter seinem Rücken. »Ich habe eine Sonderlieferung«, verkündete er, wobei er einen britischen Akzent nachahmte, »für die schönste alte Dame in diesem Stockwerk.«
    »Tja, junger Mann, das muss wohl ich sein«, erwiderte sie und schaltete mit der Fernbedienung den Fernseher stumm.
    Er zog den Strauß hinter dem Rücken hervor.
    »Oh, wie schön, lavendelfarbene Rosen«, sagte Claire und hielt kurz den Atem an, um sich die Schmerzen eines Hustenanfalls zu ersparen.
    »Violett«, berichtigte er sie.
    »Violett wäre dunkler. Das ist Lavendel. So oder so keine Farbe, wie sie in der Natur vorkommt, zumindest nicht bei Rosen. Ich finde sie so viel lustiger. Danke, mein Liebling.«
    »Es waren die schönsten Blumen im koreanischen Laden«, erklärte er, als er sich über die Bettkante beugte und sie auf die Wange küsste. Auf einmal streckte Natasha – ein kleiner Dackel – den Kopf aus dem Rucksack über seiner Schulter.
    »O mein Gott, du hast sie hereingeschmuggelt! Lass sie bloß niemanden sehen, die trifft sonst glatt der Schlag«, rief Claire.
    »Mach ich. Ich war kurz zu Hause, und sie ließ mich nicht zur Tür raus, ohne zu winseln. Sie wollte dich unbedingt sehen.«
    »Oh, gib sie hierher«, bat Claire aufgeregt, deutete mit dem Kopf auf den Bettrand und begann, Natasha zwischen den Ohren zu kraulen.
    »Was siehst du dir an, Omi? Kanal 142? Du schaust der Jugend zu, wie sie Battle Ultimo spielt?«
    »Ich dachte, vielleicht sehe ich dich. Gestern habe ich mir dein Spiel angeschaut, aber du hast verloren. Ich schätze, deshalb hat deine Mom gemeint, du hättest gestern Abend schlechte Laune gehabt.«
    »Ich war nie ein besonders guter Verlierer, oder?«
    »Dann fass den Entschluss, nie zu verlieren. So mache ich es immer, und verlass dich drauf, ich werde auch dieses Ding besiegen.« Tränen wallten in ihren Augen auf.
    »Wenn es jemand schafft, dann du, Oma.«
    »Tu mir einen Gefallen. Geh zu meinem Koffer und bring ihn mir.«
    Justin ging zu einem kleinen Wandschrank mit angelehnter Tür, wo der Trolley seiner Großmutter auf dem Boden stand. Er rollte ihn zu ihrem Bett, legte ihn auf die Seite und öffnete den Reißverschluss.
    »Ganz unten ist ein Buch«, sagte Claire. »Holst du es mir bitte heraus?«
    Er kramte herum und schob ihre Make-up-Tasche sowie ein paar ordentlich gefaltete und in Kunststofftüten verwahrte T-Shirts und Jogginghosen beiseite. Schließlich stieß er auf ein altes, in dunkelbraunes, fast schwarzes Leder gebundenes Buch, abgegriffen und

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