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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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lange, aber er fand sie tatsächlich. Noch länger dauerte es, bis er endlich den gesuchten Punkt erreicht hatte. Genau wie damals. Man war mit ihnen einen Umweg gefahren, um nicht zu viele Augenzeugen zu haben. Irgendwie wunderte es ihn gar nicht, dass die Plane damals genau an dieser Stelle aufgeflogen war. Es wehte eine warme, nach Humus duftende Brise. Der Kaiserstuhl lag genau so vor ihm wie damals, und nur wenige hundert Meter weiter durchzogen die vielen kleinen Entwässerungskanäle die Landschaft.
    Südlich von ihm führte eine kleine Straße bergab in nordwestliche Richtung. Auf der gegenüberliegenden Seite bedeckteWald die Berge, soweit das Auge reichte. Neben der Straße verliefen Gräben, und jenseits davon flossen die Bäche, durch die er geflohen war.
    Der Anblick war überwältigend. Groß. Schön. Alles stimmte.
     
    Bryan stellte das Auto ab und machte sich zu Fuß auf den Weg durch den immer dichter werdenden Wald. Er sah sich um, versuchte, sich an das Gelände zu erinnern. Nirgends eine Spur von dem, was er suchte. Die ihn jetzt umgebenden Fichten waren jünger und auch nur halb so hoch wie die näher an der Straße gelegenen Bäume. Nichts deutete auch nur im Geringsten darauf hin, dass hier einmal große Gebäude gestanden hatten. Das Unterholz war dicht. Nur ein schmaler Wildpfad ließ erahnen, dass es neben der Flora auch eine lebendige Fauna gab. Bryan zog die Socken über den Hosensaum und schlug sich leicht gebeugt und stolpernd durch das Dickicht. Er gelangte zu einem etwas offeneren Waldstück, auf dem einige sehr alte, vereinzelt stehende Fichten weit in den Himmel ragten. Keine zehn Meter vor ihm erhob sich ein Fels gut zwei Meter über das Gelände. Bryan ging in die Hocke und ließ den Blick wandern.
    Das Küchengebäude, die Personalunterkunft, das Lager der Wachen, fünf mehrstöckige Gebäude, Kapelle, Turnhalle, Garagen, der Hinrichtungsplatz. Alles war dem Erdboden gleichgemacht.
    Alles war weg, und doch war das alles ganz genau hier passiert.
    Bryan kehrte zum Auto zurück. Auf der Fahrt durch die hügelige Landschaft nahm er nun auch die Namen der Dörfer wahr. Die letzten Kilometer vor dem Sumpf fuhr er sehr langsam. Erinnerungen stiegen in ihm auf. An nackte, eiskalte Füße. Kanonendonner. Angst. Und dann auf einmal lag er vor ihm, der Taubergießen   – einer der letzten Urwälder Europas. Die Wildnis, in der er fast sein Leben gelassen hätte. DieHänge, der Schlamm, die Sandbänke im Fluss, das Dickicht am anderen Ufer. Alles war noch da. Nur nicht der Lärm, die Toten, der Breitgesichtige und der Schmächtige.
    All das war längst vergangen.
    Die Entfernungen waren geschrumpft. Doch die Atmosphäre war noch dieselbe, dem Duft nach erntereifem Wein, dem fröhlichen Gesang der Vögel und dem äußerst milden Herbstwetter zum Trotz.
    Bryan fröstelte. Hier hatte er zwei Menschen getötet.
     
    Er war wie benommen, als er in die Stadt zurückkehrte. Was er an diesem Vormittag erlebt hatte, hätte eigentlich ein über Jahre verdrängtes und unterdrücktes Bedürfnis stillen sollen. Seine spontane Entscheidung, nach Freiburg zu fahren, hatte gewisse Erwartungen in ihm geweckt, er hatte es getan in der Hoffnung, endlich zur Ruhe zu kommen. Aber so einfach war das nicht, Bryan musste den Tatsachen ins Auge sehen. Die Vergangenheit würde niemals vergehen, genauso wenig wie die Bilder in seinem Kopf   – ganz gleich, ob und wie sehr sie sich im Laufe der Zeit verändert oder gar verzerrt hatten. Nur   – wie sollte er jetzt weitermachen?
    Freiburgs Straßen waren wie leergefegt. Im Postamt herrschte eine merkwürdige Stimmung. Die Dame, die ihm den Münzfernsprecher zeigte, machte ein gequältes Gesicht. Die Menschen in der Schlange am Schalter starrten ausdruckslos vor sich hin. Bryan wählte Laureens Nummer und ließ es lange klingeln. Manchmal dauerte es eine Weile, bis seine Frau ihr Kreuzworträtsel zur Seite gelegt hatte.
    »Ja?«, meldete sie sich, als sie endlich abnahm.
    »Laureen? Bist du das?«
    »Bryan!« Er konnte sofort hören, dass sie aufgebracht war. »Warum zum Teufel hast du dich nicht gemeldet? Du musst dir doch denken können, dass ich mir Sorgen um dich gemacht habe, verdammt!«
    Laureen hatte seit Jahren nicht geflucht. »Ich hatte bisher keine Möglichkeit anzurufen, Laureen.«
    »Ist dir etwas passiert, Bryan? Hattest du irgendetwas mit der Sache zu tun?«
    »Wovon redest du? Womit soll ich etwas zu tun haben? Ich hatte hier viel um die

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