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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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Das Kopfsteinpflaster des Vorplatzes durchzogen die in der Sonne glänzenden Gleise. Die Eisenbahnbrücke wurde von zwei in weiterer Entfernung liegenden Türmen flankiert.
    Die Menschenmenge auf den Bahnsteigen war überschaubar. Ein Reiseleiter versuchte durch beständige Zurufe, seine Gruppe beisammenzuhalten. Die Frauen trugen alle Rucksäcke. An ihren nackten Beinen unterhalb der knielangen Hosen hätte Laureen sicher Anstoß genommen, ging es Bryan durch den Kopf.
    Ihm kam das alles fremd vor. Er ließ den Blick über die Bahnsteige wandern, erkannte sie aber nicht wieder. Trotzdem brach sich die Erinnerung an jene bangen Stunden, die sie vor fast dreißig Jahren bei klirrender Kälte an einem dieser Gleise zugebracht hatten, plötzlich wieder Bahn. Vermutlich war die gesamte alte Bahnhofsanlage irgendwann von der Royal Air Force in Schutt und Asche gelegt und nach dem Krieg ein neuer Bahnhof errichtet worden.
    Er lenkte den Blick hin zur Brücke, nach Süden. Im entlegensten Winkel des Bahnhofsgeländes, noch hinter den Rangiergleisen, stand ein dunkles, klotziges Gebäude, das sich ganz deutlich von den anderen unterschied. Bryans Atmung beschleunigte sich.
    Also gab es doch noch Reste der alten Bausubstanz.
     
    Vom Güterwaggon bis zur nackten Backsteinmauer waren es nicht einmal vier Meter. Bryan hatte den Abstand mindestens doppelt so weit in Erinnerung. Auf diesem Bahnsteig hier hatte er gelegen. Bryan schloss die Augen und rief sich in Erinnerung, wie er einst die Wartenden nach James absuchte. Wo sie jetzt wohl waren, all jene halb toten, zitternden Menschen auf den Tragen? Waren sie längst begraben? Im Niemandsland des Vergessens verschwunden? Oder zu Hause bei ihren Lieben?
    Blaugrün und friedlich erhob sich in der Ferne der Schwarzwald, mehrschichtig wie die Kulisse eines altmodischen Puppentheaters. Eine rostige Weiche zeigte schräg zu den Bergen hinüber. Als wäre es gestern gewesen, sah Bryan jenen Eisenbahnarbeiter vor sich, der damals über die Schienen rannte, nachdem er seine Eisenstange hatte fallen lassen. Auch die Soldaten mit ihren Gasmasken auf dem Rücken, fröhliche junge Männer auf dem Weg in den Heimaturlaub, tauchten vor seinem inneren Auge wieder auf. Die alten Güterwaggons, das trutzige Gebäude, die Farben und die Stille   … Genau wie damals, als leise der Schnee auf den Bahnsteig fiel. All diese Eindrücke rührten an etwas tief in Bryans Innerstem, mit dem er sich nur äußerst selten konfrontierte.
    Er senkte den Kopf und weinte.
     
    Zurück im Hotel, ließ er sich den Rest des Tages vom Portier versorgen. Da es im Hotel selbst kein Restaurant gab, bestellte der Mann aus einem nahegelegenen Café Sandwiches mit Schinken und welkem Salat. Und obwohl Bryan ihm ein fürstliches Trinkgeld gab, hellte sich die Miene des Portiers nicht einmal ansatzweise auf. Auch an diesem zweiten Abend im Hotel rief Bryan nicht zu Hause an. Er schaffte es nicht, fühlte sich vollkommen ausgelaugt und verspürte kein Bedürfnis, mit seiner Frau zu reden. Er musste jedes bisschen Energie aufsparen, um am nächsten Morgen die Kraft zu haben, überhaupt wieder aufzustehen.
     
    Und er stand wieder auf und machte sich auf den Weg nach Norden. Der Jaguar zog die Aufmerksamkeit einiger Kinder auf sich, als er Waldkirch hinter sich ließ und in den vom Hünersedel überragten Ausläufern des Schwarzwaldes verschwand. Wäre er westlich um das Massiv herumgefahren, hätte er sich vermutlich von allem Möglichen ablenken lassen und sich verfahren. Heute wollte er unbedingt herausfinden, wo genau das Alphabethaus gelegen hatte. Seine Erfahrung als Pilot sagte ihm, dass ihm das am besten von möglichst weit oben gelingen würde, und so steuerte er die Hochebene bei Ottoschwanden an, von der aus er vermutlich weit hinunter ins Tal und nach Westen blicken konnte.
    Selbst aus einem zügig fahrenden Auto wirkten die Felsmassen und Baumreihen schier unendlich. Zahllose sich ähnelnde Pfade und Wasserläufe unterstrichen die Sinnlosigkeit einer planlosen Suche. Bryan hoffte, vom Plateau aus irgendeinen Anhaltspunkt in der Landschaft zu finden.
    Er wollte sich am Kaiserstuhl, jenem merkwürdig geformten, fruchtbaren Mittelgebirge inmitten der oberrheinischen Tiefebene, orientieren. Dieses Gebirge hatte er seinerzeit vom rumpelnden Lastwagen aus gesehen, als die Plane plötzlich aufgeflattert war. Er musste die Straße finden, von der aus er denselben Blick auf den Kaiserstuhl hatte wie damals.
    Es dauerte

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