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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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und der seiner Erkrankung war nichts bekannt, es gab auch keinen Wehrpass, dem etwas für dieses Jahr zu entnehmen gewesen wäre.
    Werner Frickes Aufenthaltsort in Tübingen war im Zuge des Vormarsches der Alliierten geräumt und sämtliche Patienten in diese Klinik bei Karlsruhe überführt worden. Als sie Anfang der Sechziger privatisiert wurde, musste sich der Großteil der Patienten damit abfinden, verlegt zu werden. Werner Fricke war als Einziger von den damaligen Patienten übrig geblieben.Die Familie des Kalendermannes war wohlhabend genug, um für seinen Aufenthalt in der exklusiven Klinik aufzukommen.
    Die Liste der anderen Patienten von damals war überschaubar. Sie enthielt nicht einen Namen, der Bryan bekannt vorkam.
    Von den ehemaligen Patienten des Alphabethauses war offenbar nur der Kalendermann hier gelandet.
     
    Bryan war selbst überrascht, wie sehr ihn die Begegnung bewegte. Achtundzwanzig Jahre waren wie ausgelöscht, als er die kurzbeinige, gedrungene Gestalt mit den sanften Augen wiedersah. Ein vergessen geglaubter Schmerz überlagerte alle anderen Gefühle. Bryan stellte sich zwischen den Fernseher und den Kalendermann, was dieser sofort mit einem »Aaaaah« und dem Hochziehen der buschigen weißen Augenbrauen quittierte. Bryan nickte dem Kalendermann zu und spürte, wie ihm die Tränen kamen. »Das sagt er zu jedem«, schnarrte Oberärztin Würtz.
    Als Folge jahrzehntelanger Untätigkeit war der Körper des Mannes mehr und mehr in sich zusammengesunken. Aber seine Würde hatte dieser Mann nicht verloren. Trotz ärmellosen Kittels und offenen Hosenstalls war dieser Mann, der da vor ihm saß und ihn neugierig beäugte, immer noch ein S S-Offi zier . Bryan fühlte sich schlagartig in die Zeit im Alphabethaus zurückversetzt. Gleichzeitig war ihm bewusst, hier und heute dem Kalendermann gegenüberzustehen. Er lebte. Auf einem winzigen Schwarzweißfernseher verfolgte er die Übertragung der Olympischen Spiele in München. Der Kalender über dem Fernseher zeigte selbstverständlich das richtige Datum an.
    Montag, 4.   September 1972.
    »Was soll ich ihm sagen?« Welles ging neben ihnen beiden in die Hocke.
    »Ich weiß es nicht. Fang mit den Namen an, die ich dir gegeben habe. Frag ihn, was er über sie weiß. Frag ihn nachSchwester Petra und Vonnegut. Und frag ihn, ob er sich an mich erinnern kann, an Arno von der Leyen. An den Mann, den er aus dem Fenster werfen wollte.«
     
    Der Kalendermann hatte die Fragen beinahe ohne jede Reaktion regungslos über sich ergehen lassen, und so hatten sie sich recht schnell wieder von ihm verabschiedet. Bryan und Welles hatten das Zimmer noch nicht wieder verlassen, da wandte sich Werner Fricke schon erneut den Zweihundertmeterläufern zu. Sie platzierten gerade für das Finale ihre Füße in den Startblöcken.
    Als sie wieder im Auto auf dem Klinikparkplatz saßen, resümierte Welles: »Ich weiß, dass du enttäuscht bist, Bryan, aber es hat einfach keinen Zweck. Ich habe bezüglich Vonnegut schon so viele Anfragen gestellt   – der Name ist gar nicht so selten. Die Wahrscheinlichkeit, den Richtigen zu finden, ist verschwindend gering   – und dass er noch am Leben ist, auch.«
    »Und Fricke hat nur auf Vonnegut reagiert?«
    »Ja. Und natürlich auf die Schokolade, die du ihm gegeben hast. Ich fürchte, du darfst nicht zu viel darauf geben.«
    Keith Welles wartete, dass Bryan etwas sagte. In der Zwischenzeit kehrten viele Besucher zu ihren Autos zurück, sahen die beiden Männer verwundert durch die Windschutzscheibe an und fuhren weg. Bryan rührte sich nicht.
    »Und was jetzt?«, brach Welles dann doch das Schweigen, nachdem das letzte Auto den Parkplatz verlassen hatte.
    »Tja, was jetzt?« Bryan sprach so leise, dass Keith ihn kaum verstand.
    »Bis ich die neue Stelle in Bonn antrete, habe ich noch zehn Tage Zeit, Bryan. Ich mache gerne noch fünf Tage weiter, wer weiß, ob ich nicht doch noch etwas herausfinde.« Welles bemühte sich, seine Worte optimistisch klingen zu lassen.
    »Du musst zurück nach Stuttgart, oder?«
    »Ja, sicher, dort sind ja alle meine Unterlagen, mein Auto und mein Gepäck.«
    »Würdest du es mir übel nehmen, wenn ich dich bäte, dir für die Rückfahrt ein Auto zu mieten? Auf meine Kosten natürlich.«
    »Nein, natürlich nicht. Aber warum?«
    »Ich überlege, ob ich nach Freiburg fahren soll. Jetzt sofort.«
     
    In einer Privatklinik in Karlsruhe saß der Mann, den Bryan als »Kalendermann« kannte, in einem kleinen

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