Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
Männer weckten. Die Überraschung war groß, denn alles deutete darauf hin, dass gewaltige Mengen an Kriegsbeute beiseitegeschafft worden waren, die nun hier lagerten. Vermutlich sollte all das in die Heimat gebracht werden.
Es dauerte nicht lange, da bestätigte sich die Annahme. Im Jahr 1943 war jeder Gegenstand, dessen Wert dreitausend Reichsmark überstieg und aus Kirchen, Verwaltungsgebäuden, Museen und Privatsammlungen geraubt worden war, hierhin verbracht worden. Jetzt, da die Front immer näher rückte, sollte diese Kriegsbeute schnell evakuiert werden. Da hatte der Postbote die geniale Idee, zweihundert der Kisten etwa fünfzig Meter weiter abseits vom Lager zu deponieren. Und dann wollte man einfach abwarten, was passieren würde.
Die Begeisterung war groß, als der Postbote und Schmidt fünf Tage später zum Depot zurückkehrten. Es hatte funktioniert. Sämtliche Kisten waren abtransportiert worden.
Bis auf die am Rand des Depots.
Jetzt hatten sie es verdammt eilig. Sobald der Transport in Berlin ankam, würde man den Verlust von zweihundert Kisten bemerken. »Und da bekam ich den Befehl, mich mit Ihnen in Verbindung zu setzen, Herr Obersturmbannführer«, hatte Schmidt im Auto hinter dem Offizierskasino in Kirovograderklärt. »Wir benötigen schließlich die Unterstützung eines höheren Offiziers mit Verbindung zum SD. Und dann erfuhren wir, dass Sie der richtige Mann für uns sind.
Sie, Herr Obersturmbannführer, arbeiteten auf demselben Frontabschnitt wie wir. Uns war bekannt, dass Sie begabt, phantasievoll und höchst motiviert sind. Aber was uns in erster Linie imponiert hat, war Ihre absolute Skrupellosigkeit.«
Und so schmiedeten sie einen Plan.
Der Postbote hatte einen Güterwaggon wenige hundert Meter vom Depot entfernt an die Seite rangieren lassen. Der Waggon sollte zum Einsammeln von »Einzelteilen« verwendet werden. Keiner würde ihn vermissen. Kröner sollte dafür sorgen, dass russische Zwangsarbeiter nach Winniza überführt wurden. Lankau würde sie dort Reliquien, Ikonen, Altarsilber und andere Kostbarkeiten in den Güterwaggon verladen lassen.
Wie die Zwangsarbeiter anschließend zu entfernen waren, wollte er Kröner und Lankau überlassen.
Dieter Schmidt würde außerdem dafür sorgen, dass der Güterwaggon mit falschen Transportunterlagen ausgestattet und sofort zu einem kleinen Ort mitten in Deutschland gebracht würde. Dort sollte er so lange unbemerkt auf einem Nebengleis stehen, bis der Krieg überstanden war.
Erst wenn dieser Waggon abgeschickt war, sollte Kröner von Lankaus »Befreiung« Meldung machen. Genau wie im ursprünglichen Plan sollte ihm seelischer Erschöpfungszustand attestiert und er nach Deutschland zurückgeschickt werden.
Nach anfänglicher Skepsis war Dieter Schmidt von der Sache mit dem vorgetäuschten Dachschaden begeistert. Natürlich bestand das Risiko, entdeckt oder sofort getötet zu werden. Damals im Konzentrationslager hatte er selbst Hunderte von Liquidierungen von Geisteskranken befohlen. Der Grad der Nervenkrankheit war entscheidend. Er durfte daher die Umgebung nur glauben machen, dass er einen vorübergehendenKnacks habe, und nicht, dass er unheilbar erkrankt sei. Dann hatte er eine realistische Chance.
Gab es denn eine Alternative? Die letzten Wochen an der Front waren die Hölle gewesen. Der Widerstand war grauenhaft effektiv. Der Krieg konnte nicht mehr gewonnen werden. Überleben um jeden Preis, nur darum ging es noch. Und falls die Geschichte aufflog, wäre es äußerst vorteilhaft, so weit wie überhaupt nur möglich vom Zentrum der Ereignisse entfernt zu sein.
Die Idee, eine Nervenkrankheit zu simulieren, passte doch. Niemand käme mehr auf den Gedanken, dass ein Patient mit Granatenschock Tausende Kilometer von der Front entfernt mehrere Tonnen an Wertgegenständen gestohlen haben könnte. Dieter Schmidt war sich seiner Sache sicher. Sie mussten einfach einen Nervenschock simulieren. Alle vier! Er, Kröner, Lankau und der Postbote.
Der Plan schien gut und sicher zu sein. Abgesehen von dem enormen zu erwartenden Gewinn hatte jeder von ihnen seine höchstpersönlichen Motive, von der Ostfront wegzukommen.
Die »Operation geisteskrank« würde losgehen, sobald der Postbote das Codewort »Heimatschutz« absetzte. Sowie die Information eintraf, würde Kröner für einen Überfall auf zwei ukrainische Dörfer sorgen, und Lankau sollte aus einem davon vermeintlich befreit werden.
Danach sollte Kröner Dieter
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