Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
Spaß daraus gemacht, sich Gäste auszusuchen, die dafür bezahlten, dass sie nicht zusammengeschlagen wurden.
Lankau weihte Kröner dort in die Pläne ein, die er in der Zurückgezogenheit der letzten Monate entwickelt hatte. »Wie besprochen, erstatten Sie der Kommandantur in den nächsten Tagen Meldung. Sie hätten mich aus der Gefangenschaft bei den Partisanen befreit. Als Nächstes beschaffen Sie ein ärztliches Attest, aus dem hervorgeht, dass ich durch die harte Folter den Verstand verloren habe. Sobald ich im Lazarettzug in Richtung Westen sitze, können Sie zwei weitere Diamanten kassieren.«
Die Idee gefiel Kröner. Auf diese Weise würde er Lankau loswerden und dabei noch etwas gewinnen. Das könnte eine Art Generalprobe für ihn werden, falls das Leben an der Front zu riskant wurde.
Aber daraus wurde nichts. Im Offizierskasino dienten zwei Toiletten, hinter dem Kasino vier Verschläge als Abort. Kröner hatte es schon immer vorgezogen, sein Geschäft im Freien zu erledigen. Befreit knöpfte er sich die Hose zu, als in der pechschwarzenNacht dort draußen plötzlich eine Gestalt vor ihm auftauchte und keinerlei Anstalten machte, ihn vorbeizulassen. Ganz schön übermütig für so einen kleinen, schmächtigen Kerl, dachte Kröner.
»Heil Hitler, Herr Obersturmbannführer.« Die Stimme passte zur Erscheinung. Kröner ballte die Faust und wollte eben das Hindernis beseitigen, da hob der Offizier die Hand an die Mütze und ging zurück zu der schwach erhellten Hinterhofmauer.
»Obersturmbannführer Kröner«, sagte der Fremde, »haben Sie einen Moment Zeit für mich? Ich möchte Ihnen einen Vorschlag unterbreiten.«
Schon nach wenigen Sätzen hatte der Schmächtige Kröners Interesse und Neugier geweckt. Kröner sah sich um, nahm den Arm des Hauptsturmführers und führte ihn auf die Straße zu seinem Wagen, wo der Breitgesichtige saß.
Der schmächtige kleine Mann hieß Dieter Schmidt. Er hatte von seinem Vorgesetzten den Auftrag, Wilfried Kröner anzusprechen. Dieser Mann wollte seine Identität nicht preisgeben, ließ aber mitteilen, dass Kröner diese ohne viel Mühe herausfinden könne, falls er das unbedingt wolle.
»Falls etwas schiefgeht, ist es für alle Beteiligten sicherer, wenn wir einander nicht kennen«, sagte Dieter Schmidt und sah Horst Lankau an, der keine Anstalten machte, sich vorzustellen. Schmidt erklärte dann umständlich, sein Vorgesetzter bitte darum, seinen Wunsch nach Anonymität zu respektieren, denn er riskiere im wahrsten Sinn des Wortes Kopf und Kragen.
Der dünne Mann öffnete die beiden obersten Mantelknöpfe. Dass er zu den deutschen Panzerdivisionen gehörte, konnte man an seiner Uniform erkennen.
Dass er aber ursprünglich Sturmbannführer und Vizekommandant eines Konzentrationslagers gewesen war, wusstennur wenige. Vor wenigen Monaten waren er und sein Kommandant, der bis dahin für ein Konzentrationslager und drei kleinere Arbeitslager verantwortlich gewesen war, zwangsversetzt und um einen Rang degradiert worden. Man hatte sie auf einen administrativen Posten bei der Wehrmacht an der Ostfront versetzt – eine akzeptable Alternative zu Entehrung und Hinrichtung. Aber je länger sie sich auf sowjetischem Boden aufhielten, umso klarer wurde ihnen, dass sie das Land höchstwahrscheinlich nie mehr verlassen würden. Auch wenn die Deutschen wie die Teufel kämpften, um ihre Stellungen zu halten, deutete nichts mehr darauf hin, dass sie auf Dauer in der Lage sein würden, das gewaltige sowjetische Heer aufzuhalten. Die Front war so nahe, dass die sowjetischen Panzer keine halbe Stunde brauchen würden, um sie von ihren Verwaltungsposten zu schießen. Von den ursprünglich vierundzwanzig Offizieren des Stabs waren nur noch vierzehn übrig.
Das war die Lage an der Ostfront, und alle wussten das.
»Das, was wir im KZ praktizierten, war gar nicht so ungewöhnlich. Aber damals wussten wir das nicht«, sagte Dieter Schmidt. »Wir hatten ein bestimmtes Budget und das war einzuhalten. Für die Verpflegung der Gefangenen pro Tag eintausendeinhundert Mark. Wir ließen die Essensausteilung etwa jeden fünften Tag ausfallen. Das Insassenpack machte keinen Ärger. Denen gegenüber nannten wir das kollektive Hungerstrafe für irgendwelche Vergehen. Ein paar Tausend blieben auf diese Weise auf der Strecke, aber wen störte das schon?
Außerdem führten wir selten genau Buch über die Einnahmen, die uns durch den Verleih der Zwangsarbeiter zuflossen. Und schließlich
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