Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
Vom Netzwerk:
der Steilküste getrieben.
    Die Menschen, die unten zugeschaut hatten, erzählten später, der Ballon sei von den Turbulenzen sofort gegen die Klippe gedrückt worden, man hätte das Reißen des Segeltuchs hören können.
    »Verdammter Mist!«, hatte James zu Bryan hinauf geschrien, der vorsichtig über den Rand der Klippe lugte. Von ihrem ehemaligen Traum waren jetzt allerlei unheilvolle Geräusche zu hören. Das Segel, das von den Windböen immer wieder gegen die Klippen getrieben wurde, riss entzwei, und bald flatterten die Fetzen. Später hieß es, weil das Segeltuch ohnehin fadenscheinig gewesen sei, habe man den Diebstahl nie weiter verfolgt.
    James fluchte nicht mehr, als Bryan den gefährlichen Abstieg zu ihm hinunter begann. Beide Jungen wussten, dass die Klippen schon viele Opfer gefordert hatten.
    Während sich Bryan an die poröse Kreide des Steilhangs klammerte, hatte James angefangen, ihr Kampflied zu summen.
    »I don’t know what they have to say
    It makes no difference anyway
    Whatever it is, I’m against it   …«
    Wie es weiterging, daran konnte sich James kaum erinnern.
    Als sie endlich am Fuß der Klippe lagen, versuchten sie, wieder zu Atem zu kommen. Bryan hatte seinen Freund lange nur angesehen, während der unablässig weiter vor sich hinsummte.
     
    James erinnerte sich häufig an diese Geschichte: als sie die Operation »Supercharge« in der afrikanischen Wüste flogen, bei den Nachtflügen, während der anstrengenden Jahre in Cambridge. Und jetzt in dieser bizarren Situation wieder.
    Unter Mühen fand er in die Realität der Krankenstube zurück. Aus der unteren Etage drang ein Klirren. Die Luft war von den nächtlichen Ausdünstungen gesättigt. Vorsichtig drehte er den Kopf und sah hinüber zu Bryan. Die Gardine hinter ihm flatterte ein wenig, obwohl die Läden geschlossen waren. In Bryans Reihe war nur das magere Männchen mitden roten Augen wach. Er sah zu James herüber und probierte ein Lächeln. Aber als James nicht reagierte, zog er sich die Decke über das Gesicht.
    Ich bringe dich hier raus, Bryan!, dachte James in einem ewigen Kreislauf immer gleicher Worte   – und versank erneut in den Nachwirkungen der jüngsten Elektroschocks.

15
    DANN KAM DIE HITZE. Und mit der Hitze kamen die Veränderungen.
    Die Krankenschwestern trugen statt der Kniestrümpfe weiße Söckchen.
    Der Geruchssinn wurde überstrapaziert. Bei jeder Bewegung der Schwingtüren drang aus den Toiletten und dem Duschraum schwerer, feuchter Dunst in die Abteilung. Vonnegut rief deshalb einen S S-Soldaten , der von Haus aus Zimmermann war: Der sollte eines der Fenster gangbar machen. Der Mann bearbeitete einen der Fensterrahmen so gründlich mit dem Hobel, dass fortan nicht nur bei weit geöffnetem Fenster die frische Luft durch den Raum und den Flur zog und alle Gerüche durcheinanderwirbelte, sondern auch, wenn es geschlossen war.
    Die übrigen Fenster waren fest verschraubt.
    Senkrecht verlaufende, weiße Streifen auf den Scheiben zeugten vom Versammlungsplatz der Vögel auf der Dachtraufe anderthalb Stockwerke über ihnen.
    Inzwischen sah Vonnegut keine Verlustlisten mehr durch. Viel zu oft war es vorgekommen, dass er plötzlich ganz still dasaß und vor sich hin murmelte. Jetzt begnügte er sich damit, den Judenwitz des Tages zu lesen und das Kreuzworträtsel zu lösen, ehe es ein anderer tat.
    Einigen Patienten ging es spürbar besser. Es war wohl nur noch eine Frage von Wochen, ehe sie an die Front zurückgeschickt wurden.
    Patienten der Kategorien Z15,1, L15,1, v U15,1 und v U15,3 wurde bis auf Weiteres keine Arbeitsunfähigkeit mehr bescheinigt.Zu diesen Kategorien gehörten die meisten Formen von Geisteskrankheit sowohl vorübergehender als auch chronischer Art, und die waren in ihrem Abschnitt alle vertreten. In Friedenszeiten hätten solche Erkrankungen unweigerlich zur Ausmusterung oder zumindest zur Übertragung leichterer Aufgaben geführt. Wofür die Bezeichnungen im Einzelnen standen, sagte ihnen nie jemand. Aber im Laufe der Zeit nahm auch niemand mehr Rücksicht auf diese Einteilungen. Diese Zahlen- und Buchstabenkombinationen führten einzig und allein dazu, dass das Lazarett von den Krankenpflegern einen Spitznamen erhielt.
    Sie nannten es das »Alphabethaus«.
    Die Behandlung hier im Lazarett verfolgte vor allem ein Ziel. Offiziere mit niedrigerem Dienstgrad sollten so weit wiederhergestellt werden, dass sie wussten, in welche Richtung ihre Kompanien die Waffen zu richten hatten, und die

Weitere Kostenlose Bücher