Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
geschleudert. Er packte James unter den Armen und zerrte ihn mit sich hinaus in den eisigen Wind auf die Tragfläche. Da sackte auch schon die Maschine unter ihnen weg. Bryan konnte seinen Kameraden nicht mehr halten, spürte aber noch den Zug von James’ Reißleine. James hing sekundenlang schlaff im Wind. Dann öffnete sich sein Fallschirm.
Bryans Finger waren eisig, als er die eigene Reißleine zog. Er hörte den Knall des Fallschirms über sich und gleichzeitig am Boden knatternde Schüsse. Verräterische Lichtpunkte drangen schwach durch das Schneetreiben.
Die Maschine kippte zur Seite und stürzte weit hinter ihnen ab. Die Suche nach den beiden Piloten würde nicht leicht werden. Jetzt aber musste Bryan erst einmal aufpassen, dass er James und seinen Fallschirm nicht aus den Augen verlor.
Der Aufprall war unerwartet brutal. Der Boden war steinhart gefroren, die Ackerfurchen waren wie aus Beton gegossen. Während Bryan noch ächzend und stöhnend dort lag, füllte der Wind den losgelösten Fallschirm aufs Neue und trieb ihn über das Feld. Bryans Fliegeroverall war zerrissen, er selbst hatte den Sprung jedoch einigermaßen überstanden.
Dann wurde Bryan Zeuge von James’ extrem unsanfterLandung. Es sah aus, als würde dessen gesamte untere Körperhälfte zerschellen.
Allen Regeln zum Trotz ließ Bryan seinen Fallschirm davonfliegen und humpelte über die Ackerfurchen zu James. Ein paar Zaunpfähle markierten eine alte Koppel. Pferde waren keine da, die waren sicher alle längst geschlachtet. James’ Fallschirm hatte sich zwischen Holz und Rinde einer der Latten verhakt.
Bryan sah sich um. Es herrschte vollkommene Stille. Windböen wirbelten den Schnee auf. Bryan packte die tanzende Fallschirmseide und zog sich an Nähten, Bindungen und Schnüren vorbei bis zu seinem Freund, der reglos dalag.
Erst bei der dritten Berührung kippte James auf die Seite. Widerstrebend gab der Reißverschluss nach. Bryans eiskalte Fingerspitzen gruben sich unter die groben Kleidungsstücke. Die Wärme, auf die er dabei stieß, tat fast weh.
Bryan hielt die Luft an, bis er endlich James’ schwachen Puls fühlte.
Als der Wind sich schließlich legte, hatte es auch aufgehört zu schneien. Noch immer war alles ganz still.
Bryan schleifte den schwach atmenden James zum nächstgelegenen Dickicht. Die Baumwipfel waren nackt, die Stürme hatten die Bäume leergefegt, und Äste, Blätter und Zweige lagen nun in Haufen am Boden und boten den beiden Piloten etwas Schutz.
»Hier liegt so viel Feuerholz herum, da können keine Siedlungen in der Nähe sein«, murmelte er halblaut vor sich hin. Die Angst um James versuchte er gar nicht erst hochkommen zu lassen.
»Was hast du gesagt?« James ließ sich willenlos durch den Schnee schleppen, bis Bryan auf die Knie fiel und vorsichtig James’ Kopf auf seinen Schoß zog.
»James! Was ist passiert?«
»Ist – ist was passiert?« Noch hatte er die Augen nicht ganzgeöffnet. Sein Blick war nach oben auf Bryan gerichtet und flackerte unkontrolliert. Dann drehte James den Kopf und blickte über die schwarz-weiße Landschaft. »Wo sind wir?«
»Abgestürzt, James. Bist du schwer verletzt?«
»Keine Ahnung.«
»Kannst du deine Beine spüren?«
»Die sind verflucht kalt.«
»Kannst du sie fühlen, James?«
»Verdammt, ja! Ich sag doch, die sind scheißkalt. An was für einen gottverlassenen Ort hast du mich eigentlich verschleppt?«
2
MAN KONNTE MEILENWEIT sehen. Und gesehen werden.
Auf einem Acker, so groß, dass die Ernte für ein ganzes Dorf reichen könnte, lagen die Reste von James’ Fallschirm. Deutliche, dunkle Schleifspuren führten von dort geradewegs zu dem Dickicht, in dem sie sich versteckt hielten.
Das alles machte Bryan aber erst Sorgen, seit er wusste, dass James keine schlimmeren Verletzungen davongetragen hatte. Die Blutung am Ohr hatte der Frost längst gestoppt, und Gesicht und Hals waren aufgrund der bitteren Kälte nur schwach geschwollen.
Sie hatten noch mal Glück gehabt.
Doch damit schien nun Schluss zu sein.
Der Frost kroch ihnen bis ins Mark. Es war so kalt, dass ihre Mundwinkel einrissen. Wenn sie nicht erfrieren wollten, mussten sie einen Unterschlupf finden.
James horchte auf Flugzeuge. Aus der Luft würden die Spuren auf dem Feld überdeutlich den Verlauf des Geschehens bezeugen. Kam ein Flugzeug, würden auch die feldgrauen Spürhunde schnell auftauchen.
»Ich glaube, wenn wir die Fallschirme hergeholt haben, sollten wir zu der Senke
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