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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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hatte er gezittert wie Espenlaub. Er musste geahnt haben, was ihm bevorstand.
    Um die Mittagszeit kam der junge Sicherheitsoffizier zusammen mit einem gewöhnlichen S S-Soldaten . Er erteilte ein paar Befehle, worauf alle Patienten zu den Fenstern gingen.Bryan folgte als einer der Letzten und stand in der zweiten Reihe, von der aus man nur sehen konnte, was passierte, wenn man sich auf die Zehenspitzen stellte. Auch dann war der Blick wegen der Fenstersprossen und Gitter eingeschränkt. Bryan schob den Kopf langsam vor und konnte so über die Schulter vor ihm sehen.
    Die Sicht auf den Rand des Felsen, der zwei Meter von der Wand des Lazarettgebäudes bis zur Kapelle etwa hundert Meter weiter verlief, war einigermaßen unverstellt. Den schmalen nackten Saum unterbrach nur ein einzelner Pfosten, der womöglich ein altes Bohrloch markierte.
    An diesen Pfahl fesselte man den Mageren, und an diesem Pfahl wurde er vor den Augen der Patienten erschossen. In dem Augenblick, als der Schuss fiel, wandte Bryan den Kopf ab und sah stattdessen zu James in der ersten Reihe, mit dem Pockennarbigen neben sich. Beim Dröhnen des Schusses zuckte James heftig zusammen. Aber weder die Hinrichtung noch James’ Reaktion waren die Ursache für den kalten Schweiß auf Bryans Stirn. Nein, es war der Blick, mit dem der Pockennarbige, der James intensiv beobachtet hatte, dem Breitgesichtigen zunickte.
    Es verging einige Zeit, ehe der Nächste an den Pfahl gefesselt und erschossen wurde. Bryan hatte keine Ahnung, wer der arme Sünder war. Jedenfalls keiner aus dem Alphabethaus. Aber es konnte kein Zweifel daran bestehen, dass er versucht hatte, sich dem Kriegsdienst zu entziehen. Dieses Vergehen wurde mit ultimativer Härte bestraft   – das war die Botschaft und Warnung an alle.
    Der Anblick des Toten hatte auf den anderen Zwilling keinen Eindruck gemacht. Er schien nicht zu begreifen, was um ihn herum geschah. Keiner versuchte, ihn zu trösten, keiner verhörte ihn.
    Nach der Exekution hatte man das Bett des Mageren sofort entfernt. Dann wurde der Fußboden der gesamten Stationgeschrubbt, es wurde Kaffee-Ersatz serviert und Vonnegut brachte Lautsprecher, um die Gemüter durch Pauken und Geigen zu besänftigen.
    Schließlich waren die Männer unter seiner Obhut krank und mussten behandelt werden.

19
    VON NUN AN WAREN beinahe jede Woche Schüsse zu hören. Die Simulanten hatten aufgehört, nachts zu flüstern, und James reagierte fast nur noch, wenn das Essen gebracht wurde, ansonsten lag er apathisch in seiner Ecke. Abgesehen davon ging das Leben weiter wie bisher.
    Besonders der Pockennarbige war ganz offenkundig auf der Hut. Seine Fürsorge für die anderen Patienten war weiter demonstrativ. Aber früher hatte er für jeden eine Bemerkung übrig gehabt und auch mal jemandem zugeblinzelt, nun war er eher wortkarg und beobachtete alles mit höchster Wachsamkeit. Bryan wusste, was er dachte, und er dachte genauso. Wer war sonst noch ein Betrüger?
    In erster Linie hatte der Pockennarbige James im Auge. Manchmal sah Bryan, wie alle drei Simulanten James verbissen anstarrten. Sie hatten ihn eindeutig im Visier. Allerdings konnten sich zwei von ihnen nur selten länger als ein paar Minuten konzentrieren, dann wurden ihre Lider schwer und die Augen fielen ihnen zu. Die Tabletten taten ihre Wirkung. Der Pockennarbige hingegen konnte sich stundenlang wach halten.
    Anfangs hatte Bryan geglaubt, die Simulanten würden James in Ruhe lassen. Was hatten sie schon zu befürchten von einem, der die meiste Zeit bewusstlos im Bett lag? Erst als der Kalendermann eines Tages anfing, zu schreien und mit den Armen zu fuchteln, und dabei auf James deutete, merkte Bryan, dass nicht alles war, wie es sein sollte. Schwester Lili stürzte herbei und klopfte James auf den Rücken. Er war leichenblass und versuchte, ein Räuspern zu unterdrücken.
    Schon am nächsten Tag beim Mittagessen wiederholte sich das Ganze.
    In den folgenden Tagen setzte sich Bryan im Bett auf, statt sich wie bisher zum Essen vor dem Nachtspind auf die Bettkante zu setzen. So konnte er James ohne Weiteres beim Essen beobachten. Das Krankenzimmer war erfüllt von Essensgeräuschen, Besteckklirren und leisem Rülpsen. Nur James saß reglos da und starrte auf seinen Teller, als versuche er, Appetit zu bekommen. Ganz am Schluss, kurz bevor das Geschirr eingesammelt wurde, sanken seine Schultern, als seufzte er, und er nahm ein paar Löffel voll.
    Gleich darauf begann er zu husten.
    Nachdem sich

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