Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
suchen haben.«
»Wilfried Kröner hilft doch bei einer Reihe von Aufgaben. Gilt das auch für ihn?«, warf Schwester Lili ein.
»Kröner?« Thieringer schob die Unterlippe vor und schüttelte den Kopf. »Nein. Er macht gute Fortschritte. Hingegen scheint mir, dass sich das Verhalten von Standartenführer Lankau sehr ungünstig entwickelt. Er wirkt instabil. Bis wir ihn entlassen, müssen wir unbedingt dafür sorgen, dass er ruhiggestellt ist und seine Mitpatienten nicht belästigt.«
Da Gerhart Peuckerts Situation bereits angesprochen worden war, hatte Schwester Petra nur noch eine Frage auf dem Herzen. »Wie sollen wir uns gegenüber der Besucherin von Gruppenführer Devers verhalten, Herr Oberarzt? Da sie so oft kommt, dürfen wir sie mit verpflegen?«
»Wie oft kommt sie denn?«
»Mehrmals in der Woche. Ich glaube, fast jeden Tag.«
»Sie können es ihr anbieten, ja. Am besten, Sie fragen sie. Sie könnte eine willkommene Abwechslung für Arno von der Leyen sein.« Er sah den Assistenzarzt gleichmütig an. »Ja, das würde sogar ganz ausgezeichnet passen. Ich werde mit ihr darüber sprechen, wenn ich sie treffe.«
Die Ehefrau von Gruppenführer Devers war schön und schlank, eine Frau mit Ausstrahlung, doch Schwester Petra beneidete sie vor allem um ihre elegante Garderobe. Gisela Devers lächelte Schwester Petra freundlich zu, aber die hatte nur Augen für deren teure Strümpfe und das Kostüm. »Alles Bamberger Seide«, erzählte sie abends den Freundinnen auf ihrem Zimmer. So etwas hatte keine von ihnen je getragen.
Petra war aufgefallen, dass Arno von der Leyen die Frau von Gruppenführer Devers immerzu anschaute, wenn sie am Bett ihres Mannes saß und las. Insgeheim dankte sie ihremSchöpfer, dass nicht Gerhart Peuckert mit dem Gruppenführer in einem Zimmer lag.
Die beiden Wächter waren zwei blasse Burschen, denen Leid und Elend noch ins Gesicht geschrieben standen. Ihre tadellos gebügelten Uniformen waren nagelneu, die Rangabzeichen eines S S-Rottenführers aber bereits abgewetzt.
Wenn Gisela Devers erschien, standen die beiden jungen Wächter stramm. Sie war eben nicht nur eine äußerst elegante Erscheinung, sondern auch die Ehefrau eines hohen S S-Offi ziers und die einzige Angehörige, der der Zutritt zum Lazarett gestattet war. Besser achtzehn Stunden sieben Tage die Woche Wache schieben als eine einzige Stunde an der Front.
Schwester Petra musste Oberarzt Thieringer Recht geben. Horst Lankau hatte sich sehr verändert. Er lächelte nicht mehr, und die anderen Patienten schienen Angst vor ihm zu haben. Es stimmte auch, dass er mehrfach im Zimmer von Devers und Arno von der Leyen gewesen war, obwohl er dort nichts zu suchen hatte.
Als man ihm verbot, sein Krankenzimmer zu verlassen, bekam er einen solchen Wutanfall, dass sie ihn schließlich mit einer Spritze ruhigstellten.
Danach war er wieder so wie früher.
Auch sonst hatte sich einiges verändert. Wilfried Kröner ging es mittlerweile erheblich besser. Er bewegte sich frei durch das gesamte Alphabethaus, trug die Wäsche in den Keller und schob den Wagen mit dem Essen durch alle Etagen. Die Behandlung würde wohl bald abgeschlossen werden können. Allerdings litt er an klonischen Krämpfen mit unkontrolliertem Wasserlassen und an gelegentlichen Zuckungen, die sein Sprechvermögen beeinträchtigten und zu Kopfschmerzen führten.
Der sonderbare, sardonisch lächelnde Peter Stich starrte nicht länger in den Wasserstrahl der Dusche. Stattdessen bohrteer jetzt mit einer Heftigkeit in der Nase, dass man glauben konnte, er wolle auf diesem Weg gegen die chronischen Kopfschmerzen angehen.
Petra wurde von der ekligen Angewohnheit übel.
Die beiden Soldaten mussten inzwischen noch einen weiteren Patienten bewachen. Man hatte einen Obergruppenführer mit Nervenzusammenbruch eingeliefert, er war in von der Leyens Nachbarzimmer untergebracht worden. Zwar hatten ihn die Krankenträger ziemlich genau beschrieben, aber außer zwei Ärzten und natürlich Thieringer kannte niemand die Identität des Generals. Petra wusste nur, dass er ein netter Herr mittleren Alters war, der völlig neben der Spur zu sein schien.
Sein Zimmer durfte nur im Beisein des Oberarztes betreten werden, denn man wollte unbedingt einen Skandal vermeiden. Offiziell hieß es, er brauche nur Ruhe, um wieder zu Kräften zu kommen.
Gisela Devers hatte recht geschickt, aber vergeblich versucht, den Neuen begrüßen zu dürfen. Jemand hatte angedeutet, dass sie allein
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