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Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus

Titel: Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jussi Adler-Olsen
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wahrscheinlich nie erholen. Die Behandlungen mit Elektroschocks fand Petra eher fragwürdig. Die wenigen Patienten, die seit ihrer Ankunft aus der Klinik entlassen worden waren, gingen einer höchst ungewissen Zukunft entgegen, sie waren zutiefst angeschlagen, reagierten verlangsamt, und sie alle waren ganz sicher noch nicht in dem Zustand, in dem man sie guten Gewissens entlassen sollte. Der Oberarzt dachte genauso, das wusste sie, aber die Betten wurden schon wieder für andere gebraucht.
    Nun sollten bald mehrere Patienten aus ihrer Station entlassen werden.
    Einige der Patienten reagierten gar nicht, wenn sie angesprochen wurden, sie hatten offenbar Sprechblockaden, wie zum Beispiel Werner Fricke, der sich nur um sich und seine Kalenderzettel kümmerte, darüber hinaus schien er nichts zu begreifen. Auch dieser berühmte Arno von der Leyen verstand offenkundig nicht, was sie sagte. Aber Gerhard Peuckert begriff alles, das wusste sie, auch wenn sie keinen Kontakt zu ihm herstellen konnte.
    Die Symptome, die Gerhard Peuckert zeigte, ließen sich nicht allein mit dem Granatenschock erklären. Viele seiner Reaktionen erinnerten sie an Leiden, die sie früher in der internistischen Abteilung erlebt hatte. Es kam ihr vor, als litte er an einer Art allergischem Schock. Gemessen an den anderen wirkte er unverhältnismäßig willenlos und extrem entkräftet, außerdem zeigte er zwischendurch absolut irrationale Reaktionen.Die Ärzte taten das ab, was Petra jedoch zusätzlich mit Sorge erfüllte. Sie fühlte sich hilflos und ohnmächtig, gleichzeitig befanden sich ihre Gefühle in höchster Verwirrung: Noch nie war ihr ein so gut aussehender Mann begegnet.
    Und es wollte ihr einfach nicht in den Kopf, dass
er
dieser Satan sein sollte, als den ihn seine Akte auswies. Entweder hatte man dort übertrieben   – oder vielleicht waren ja seine Papiere vertauscht worden? Sie hatte sich doch immer so auf ihre Menschenkenntnis verlassen können!
    Was Gerhart Peuckert aber dazu gebracht haben mochte, sich selbst dermaßen schwere Verletzungen zuzufügen, war ihr unverständlich. Die vielen Blutergüsse und der wiederholte enorme Blutverlust machten sie misstrauisch. Was waren die Ursachen für dieses Maß an Selbstverstümmelung? Die Wurzeln der Angst dieser Patienten saßen tief. Es konnte jederzeit zu akuten Erregungszuständen kommen. Wie sich jemand   – so wie Arno von der Leyen   – beinahe die Zunge durchbeißen konnte, war ihr dennoch unbegreiflich. Und doch kam es vor. Warum sollte es Gerhart Peuckert anders ergehen? Tröstlich war, dass es ihm in der letzten Zeit stetig besser ging, auch wenn er immer noch sehr schwach war.
    Als er schließlich auf ihre Zärtlichkeit reagierte und versuchte, Worte zu formen, fasste sie einen Entschluss. Sie wollte gegen Gerhart Peuckerts Angst vorgehen, damit er nicht dasselbe Schicksal erlitt wie so viele andere.
    Wenn es nach ihr ging, würde er bis zum Kriegsende im Lazarett bleiben. München, Karlsruhe, Mannheim und Dutzende anderer deutscher Städte wurden inzwischen heftig bombardiert. Sogar auf Freiburg waren schon Angriffe geflogen worden. Die Amerikaner rückten vor, die Alliierten begannen, sich auf deutschem Gebiet zu sammeln. Und wenn das alles einmal überstanden war, wollte sie, dass Gerhart Peuckert noch am Leben war.
    Um seinet- und ihretwillen.
     
    »Neue Direktiven aus Berlin. Im Oberkommando der Wehrmacht wurde bezüglich des Sanitätswesens nach der Anhörung im August endlich ein Beschluss gefasst.« Die Ärmel des Kittels von Oberarzt Manfred Thieringer schoben sich hoch und gaben seine schmächtigen Handgelenke frei. »Verlangt wird verschärfte Aufmerksamkeit im Hinblick auf Simulanten. Das Reservelazarett in Ensen hat bereits reagiert und alle Zweifelsfälle entlassen und an die Front geschickt.« Er sah sich in dem kleinen Raum langsam um. Es war seine Entscheidung gewesen, das frühere Besprechungszimmer als Behandlungsraum zu nutzen, als der Druck auf die einzelnen Abteilungen zu groß geworden war. Der Barackenbau konnte den Bedarf nicht mehr auffangen. Die Kämpfe an der Ostfront hatten ihnen enormen Zulauf beschert. Erst jetzt eröffnete sich langsam eine Möglichkeit, zur gewohnten Routine zurückzukehren und die Patientenzahl auf Normalmaß zu bringen.
    Die Direktive aus Berlin würde ihnen wieder Platz verschaffen.
    Dr.   Holsts Augen hinter den dicken Brillengläsern wurden schmal. »Das Reservelazarett in Ensen behandelt im Grunde nur

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