Das Alphabethaus - Adler-Olsen, J: Alphabethaus
man die Detonationen der Maschinengewehrsalven von vorn gehört, durchs Unterholz drangen sie nun nicht mehr so deutlich. Die leichte Verteidigung der Deutschen war mobil, und der Deich am Rhein lag im Moment offenbar nicht direkt unter Beschuss.
Bryan schleppte sich über eine schlammige Sandbank. Im Laufe der Jahre hatten sich darauf Zweige verkeilt, waren verrottet, Neues war gewachsen und wieder vergangen. An einem Sommertag musste das hier herrlich sein. Vögel, Blumen und Farben überall. Jetzt war es die Hölle.
Die Zeit wurde langsam knapp. Er wusste nicht, wie spät es war, vielleicht drei, vielleicht aber auch schon vier Uhr.
Bryan betete, dass es noch nicht fünf Uhr war, denn dann wären es nur noch zwei Stunden, bis der Morgen dämmerte.
Ganz in der Nähe donnerte vor ihm ein Fahrzeug vorbei, als würde es fliegen. Also konnte der Deich nicht mehr weit sein.
Auch die Geräusche waren jetzt anders, sehr viel deutlicher und klarer als bisher. Bis zum Deich konnten es höchstens noch zwei- bis dreihundert Meter sein. Bryan stand unter Hochspannung. Wie sollte er bloß über den Deich und bis zum Fluss kommen? Und was für ein Hexenkessel bedrängter Truppen erwartete ihn auf der anderen Seite des Flusses? Er konzentrierte sich und ließ sich vorsichtig wieder in den Sumpf gleiten, um das letzte Stück zu bezwingen.
Jatzt registrierte Bryan den Gestank von Fäulnis und Moder, und im selben Moment verdunkelte sich die Luft ringsum vor lauter flatternden schwarzen Gestalten mit aufgebrachtem Vogelkrächzen. Hunderte von Kormoranen erhoben sich flügelschlagend von ihren Plätzen. Bryan blieb ganz still im Wasser stehen und sah zu, wie sich die Vögel über den Wipfeln der Bäume versammelten und langsam auf neue Plätze senkten. Alle Vögel hielten die Schnäbel hoch in die Luft, als erwarteten sie einen Feind von dort oben.
Der infernalische Lärm musste weithin zu hören gewesen sein, und trotzdem blieb ringsum alles still. Lange stand er reglos da und lauschte, erst dann bewegte er sich weiter. Bei seinem nächsten Schritt auf ein Schilfnest zu stand er plötzlich vor ihm: Dieter Schmidt ging sofort auf Bryan los. Er griff ihm an die Kehle und versuchte gleichzeitig, ihm unter Wasser in den Schritt zu treten – vergeblich. Bryan wehrte sich mit aller Kraft. Als sie umkippten, flogen die Vögel wieder auf. Bryan fiel auf die Seite, und einer der abgebrochenen Äste, die überall herumschwammen, bohrte sich ihm ins Ohr. Noch unter Wasser brüllte er vor Schmerz auf und stemmte sich so heftigvom Boden ab, dass beide auf einmal aus dem Wasser flogen. Der Schmächtige wankte sofort auf Bryan zu und schlug dabei wütend mit der flachen Hand aufs Wasser. Bryan warf einen beunruhigten Blick über die Schulter. Lankau war nirgends zu entdecken.
Als der Schmächtige auf ihn zu hechtete, ergriff Bryan einen der im Wasser schwimmenden Äste und stieß damit nach dem Gesicht des Schmächtigen. Der konnte nicht einmal mehr schreien. Der Ast steckte schräg in seinem Mund und hatte sich ihm durch die linke Wange gebohrt. Bryan machte einen Satz zur Seite und kam auf etwas festerem Grund zu stehen. Mit zwei schnellen Sprüngen hatte er seine Position stabilisiert. Der Schmächtige schaute ihn hasserfüllt an. Er stand bis zu den Knien im Wasser, lauernd. Bei jedem Atemzug bewegte sich das Aststück in der Wange. Ein grotesker Anblick. Schmidt trug nur einen durchnässten grauen Schlafrock. Die dünnen nackten Beine waren blauschwarz wie das Wasser, in dem er stand. Er und der Breitgesichtige hatten hastig aufbrechen müssen, eigentlich sollte man sie für ihre Tatkraft bewundern.
Ihr Wille hatte die zwei Männer einzig mit dem Ziel hierher gebracht, Bryan umzubringen.
Der Ruf Lankaus kam aus nächster Nähe. Wie ein bedrohtes Tier kniff Bryan die Augen zusammen, als der Schmächtige mit ausgebreiteten Armen vorwärts stürmte. Doch plötzlich hatte Bryan keine Angst mehr. Der Schmächtige verlor für einen winzigen Moment in dem ruhigen Wasser den Grund unter den Füßen, und um das Gleichgewicht zurückzugewinnen, lehnte er sich leicht vornüber. Genau da traf Bryans Tritt seinen Kehlkopf.
Die zitternde Gestalt kippte schlaff hintenüber, und Bryan hielt den Körper mit aller Kraft unter Wasser gedrückt.
Gerade als es mit dem schmächtigen Mann zu Ende zu gehen schien, brach Lankau aus dem Dickicht und watete, zu allem entschlossen, durch den Schlamm.
Alle Sinne aufs Äußerste gespannt, sah Bryan sich
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